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Tal ohne Sonne

Tal ohne Sonne

Titel: Tal ohne Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Vergnügen.
    »Zuerst unsere Vorstellung.« Pater Lucius legte die Hand auf Reißners Schulter und zog ihn zurück. Reißner war gerade in die Hocke gegangen und fotografierte in Großaufnahme einen vor ihm zuckenden Schoß. »Hören Sie auf! Diese Fotos kriegen Sie ja doch nicht los.«
    »Haben Sie eine Ahnung!« Reißner lachte laut und richtete sich auf. »Es gibt Millionen, die auf solche Fotos stehen.«
    Der ekstatische Tanz neigte sich seinem Ende zu. Die Frauen, über und über in Schweiß gebadet, verließen das Innere des Vierecks. Eine kleine Staubwolke blieb zurück. Alle blickten auf die ›weißen Götter‹, die wie Menschen aussahen und sich auch so bewegten. Was taten sie jetzt?
    »Donald, Sie fangen mit Ihrer Trillerpfeife an.« Pater Lucius bückte sich und holte aus seiner Kiste einen Kassettenrecorder und ein Mikrofon. »Fred, Sie hören mal ganz leise, ob im Radio Musik ist. Sie sind der nächste.«
    Kreijsman nickte, stellte sein Kofferradio an und hielt es an sein Ohr. »Musik«, sagte er und grinste breit. »Operettenmelodien. Gerade spielen sie die ›Lustige Witwe‹.«
    »Wenn das der alte Lehár noch erlebt hätte!« Reißner holte aus seiner Fototasche die Polaroidkamera hervor. »Wilja, o Wilja, mein Waldmägdelein – im unerforschten Urwald von Papua-Neuguinea … Wenn das kein Knüller ist!«
    »Donald, fangen Sie an.« Pater Lucius nickte ihm zu.
    Zynaker setzte die Trillerpfeife an die Lippen und ging auf den ersten Uma im Viereck zu. Der Krieger erstarrte, sein gelb bemaltes Gesicht verkrampfte sich. Was wollte der fremde Gott von ihm?
    Beim ersten Ton der Pfeife, diesem durchdringenden Trillern, zuckte der Uma zusammen, umklammerte seinen Speer und starrte Zynaker mit einer Mischung aus Angst, Entsetzen und Verwunderung an. Langsam schritt Zynaker pfeifend das Viereck der Krieger ab, und je mehr er pfiff, um so heller wurden die Gesichter, schließlich lachten sie und ahmten das Trillern nach. Vor Dai Puino blieb Zynaker stehen und reichte ihm die Pfeife hin.
    Der Alte schnellte aus seinem Flugzeugsessel hoch, steckte die Pfeife zwischen seine wulstigen Lippen und blies kräftig hinein. Das schrille Trillern überwältigte ihn selbst, seine Augen weiteten sich, und er blies und blies, die Uma klatschten in die Hände und übertönten dann mit lautem Geschrei die Pfeife.
    Dai Puino ließ sich wieder in den Sessel fallen, hängte sich die Pfeife mit dem Lederband um den Hals, zog Zynaker an sich und rieb sein Kinn an seinem Kinn. Es war die größte Auszeichnung, die zu vergeben war: Dai Puino küßte Zynaker auf Uma-Art.
    Leonora blickte zu Schmitz hin. Sie sah, wie seine Backenmuskeln spielten. »Merk dir das«, sagte sie ein wenig ironisch. »Wenn du Lakta auf unsere Weise küßtest, würdest du einen großen Fehler machen.«
    »Sie hat noch nie mit den Lippen geküßt. Sie weiß nicht, wie das ist, wenn es durch den ganzen Körper rinnt.«
    »Willst du's ihr beibringen?«
    »Bitte fragen Sie nicht, Chefin.«
    »Du bist wirklich in sie verliebt?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Und wenn du's weißt, vergiß es.«
    Pater Lucius nickte Kreijsman zu. »Jetzt Sie, Fred. Noch immer die ›Lustige Witwe‹?«
    Kreijsman hielt das Radio wieder an sein Ohr. »Nein, jetzt ist der ›Vogelhändler‹ dran. ›Ich bin die Christel von der Post …‹«
    Kreijsman nahm das Kofferradio unter den Arm und stellte sich mitten auf den Dorfplatz. Er hob den Apparat hoch, und augenblicklich herrschte vollkommene Stille. Tausend Augen starrten ihn an. Auch Dai Puino zog die Schultern hoch. Aus dem Haus kam Lakta, die bunte Glasperlenkette um den Hals. Schmitz atmete laut auf.
    Ohne Vorwarnung drehte Kreijsman den Lautregler auf volle Stärke. Musik knallte aus den Lautsprechern, Geigen und Celli und eine menschliche Stimme, ein Tenor: »Schenkt man sich Rosen in Tirol …« Rudolf Schock im Urwald von Papua-Neuguinea. Eine Klangwolke hing über dem Dorf. Die Wirkung war ungeheuerlich.
    Ein Gott hielt einen Kasten hoch, aus dem die Stimme eines Menschen klang. Eines unsichtbaren Menschen, oder eines Dämons, der wie ein Mensch sang? Ein Geist, der in dem länglichen Kasten saß, dem schwarzen Kasten mit den vielen Warzen – das waren die Bedienungsknöpfe – und den zwei verhüllten Gesichtern – das waren die beiden verkleideten Lautsprecher –, und Musik, wie man sie noch nie gehört hatte, ganz fremde Töne, Musik aus dem Reich der Götter, Musik, so schön, daß man es nicht begreifen

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