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Tal ohne Sonne

Tal ohne Sonne

Titel: Tal ohne Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ist schon eine Art Zauberei der Chemiker. Da, da kommst du!«
    Dai Puino verfolgte aufmerksam alle Phasen der Entwicklung. Als er seinen Kopf klar und bunt erkannte, hielt er das Foto hoch und zeigte es allen seinen Kriegern. Voll Ehrfurcht sahen sie es an, als einer der Söhne es in die Hand nahm und damit das Viereck abschritt.
    Sind die weißen Götter nicht unangreifbar? Sie holen Stimmen aus der Luft, sie halten Stimmen fest in einem kleinen Kasten, sie machen dir ein zweites Gesicht, ohne daß du dein erstes Gesicht verlierst. Wer kann das sonst noch als sie?
    Reißner fotografierte auch Lakta. Scheu, aber mit einem Lächeln blickte sie in die Kamera und nahm dann das fertige Bild mit spitzen Fingern an. Sie betrachtete sich, schien zu überlegen, ein heller Glanz trat in ihre Augen, in ihren Fingern zitterte das Bild. Sie begann zu gehen, langsam, würdevoll, mit hoch erhobenem Haupt, und doch schien es, als berühre sie gar nicht die Erde. Sie ging auf die weißen Götter zu, ohne Scheu und mit einem wundervollen Lächeln um die Lippen, blieb vor Schmitz stehen und hielt ihm das Foto entgegen.
    Für dich, hieß das. Nimm es an. Dann bin ich immer bei dir. Meine Augen sehen dich, wo du auch bist. Mein Mund begrüßt dich, wenn du aufwachst und wenn du einschläfst. Mein Gesicht gehört dir …
    »Steh nicht da wie ein Nußknacker!« zischte ihm Leonora zu. »Nimm es an! Sie liebt dich, so verrückt das auch ist!«
    Schmitz biß die Zähne zusammen. Er nahm aus Laktas Fingern das Foto, und ihr Kopf kam ihm entgegen, und dann rieben sie ihre Kinne aneinander, mit geschlossenen Augen, und es war mehr als ein Kuß, den sie nicht kannte, es war eine stumme Hingabe voll Zärtlichkeit und Demut.
    Mit einem Ruck fuhr Lakta zurück, wirbelte herum und rannte wie gehetzt zum Haus. Pater Lucius brummte, sagte aber kein Wort. Schmitz stand wie gelähmt, das Bild in der Hand.
    »Wirklich, was sind schon zweitausend Jahre«, sagte Leonora leise. »Ich gebe dir recht, Pepau. Aber du wirst es schwer haben mit deinem Gewissen. Auch sie hat Menschenfleisch gegessen.«
    Schmitz stöhnte auf und steckte das Foto in die Brusttasche seines Hemdes. »Ich will davon nichts mehr hören, nie mehr. Bitte, Leonora, bitte, sagen Sie es nie wieder.«
    »Ich glaube, nach diesen Vorstellungen können wir uns Schmitzens Feuerzeug und Leonoras Schere sparen«, sagte Pater Lucius, als Reißner zurückgekommen war. »Einen noch größeren Eindruck können wir nicht machen.«
    Das Viereck der Krieger löste sich auf. Alle hockten sich um die ausgebreiteten Speisen auf den Boden. Über fünfzig Kreise gab es, in deren Mitte die gebratenen Schweine und Hühner auf Palmblättern lagen, das Gemüse, die gedünsteten Bananen, die Süßkartoffeln, die gesottenen Sagowurmlarven und die Gefäße mit dem sauer riechenden Bier. Die Frauen begannen das Fleisch zu zerkleinern. Und in jedem Kreis wachte ein Greis darüber, daß die Portionen gerecht verteilt wurden.
    Im größten Kreis, dem von Dai Puino, saßen die neuen Freunde, und Dai Puino selbst ließ es sich nicht nehmen, das Fleisch zu zerteilen und jedem sein Stück zu geben. Lakta erschien nicht wieder. Sie saß neben der schlafenden Mutter, hielt ihre Hände fest und erzählte ihr mit leiser Stimme von ihrer Liebe.
    Das große Essen begann.
    Es dauerte bis tief in die Nacht hinein. Die Angst vor den Dämonen der Dunkelheit war zerstoben, die neuen Götter waren stärker. Sie holten aus dem Himmel Stimmen und zweite Gesichter.
    Einsam, allein in seiner offenen geschmückten Hütte, von keinem beachtet, von keinem vermißt, nicht einmal mit Fleisch oder einer einzigen Süßkartoffel bedacht, hockte Duka Hamana auf seinen Matten.
    Ein Zauberer ohne Kraft. Ein alter, zerbrochener Mann.
    Nur einen Anhänger hatte er noch, und der lag vor der Hütte auf ein paar getrockneten Palmblättern.
    Hano Sepikula. Der Besiegte.
    Und auch ihm brachte niemand ein Stück Fleisch oder eine Schüssel mit gekochten Sagowurmlarven.

6
    Sechs Wochen lebten sie jetzt bei den Uma .
    Es war eine Zeit, die schnell verflog und die man erst begriff, wenn man in einen Kalender schaute oder das Datum in das Tagebuch schrieb. Leonora führte ein solches und verzeichnete darin alles, was täglich geschah, wichtige und unwichtige Dinge, denn auch das Unwichtige gehört zum Leben und wird, im Zusammenhang mit den besonderen Ereignissen, plötzlich doch zu dem wichtigen Steinchen, das das Mosaikbild eines Tages vollendet. Dazu

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