Tal ohne Sonne
konnte.
Die Uma fielen auf die Knie und beugten das Haupt. Die Frauen und Kinder stoben auseinander und versteckten sich hinter den Hütten. Jaulende Hunde flüchteten in die Bananenwälder. Nur Lakta blieb stehen, als habe sie kein Wunder erlebt. Sie sah Pepau an, lächelte ihm zu und streichelte die Glasperlenkette.
»Du hast recht«, sagte Leonora zu Schmitz. »Was sind zweitausend Jahre! Es hat sie immer gegeben, die lockenden Weibchen. Und auch immer die Männer, die darauf hereinfielen.«
Kreijsman drehte das Radio ab. Der Sopran, der gerade zu schmettern begann, verstummte. Die Uma knieten noch immer auf dem Boden und wagten nicht, den Kopf zu heben.
»Jetzt noch einen drauf«, sagte Reißner gemütlich. »Pater, Ihre Tonbandkassette. Das wird sie um den Verstand bringen.« Kreijsman kam zurück, stolz, als habe er allein eine Schlacht gewonnen. »Das werden sie nie begreifen!« sagte er.
»Ich auch nicht.« Reißner legte den Polaroidfilm in die Kamera. »Da dreht man an einem Knopf und hört plötzlich Musik, die in Port Moresby gespielt wird. Und die ganze Luft ist voll davon. Ich begreif das manchmal auch nicht, trotz Strahlen, Frequenzen und was es da alles gibt. Man nimmt das als selbstverständlich hin, und es ist trotzdem ein kleines Wunder. Ein Wunder aus Menschenhand.«
Vereinzelt hoben sich jetzt die Köpfe der Uma. Dai Puino, der die Hände vor sein Gesicht geschlagen hatte, blickte durch die gespreizten Finger zu Pater Lucius hinüber. Gab es noch mehr unsichtbare singende Geister?
Pater Lucius löste Kreijsman ab und trat in die Mitte des Platzes. In die Linke nahm er den Kassettenrekorder, mit der Rechten hielt er das Mikrofon an den Mund. Noch hatte er nicht auf Aufnahme gestellt – er überlegte, ob es richtig war, als ersten Dai Puino seine eigene Stimme hören zu lassen. Es bestand die Gefahr, daß er vor Entsetzen umfiel und damit sein Gesicht verlor. Er würde es nie wiederbekommen können, auch nicht durch seinen Flugzeugsessel.
Pater Lucius wählte einen Krieger aus, der in der vordersten Reihe stand, einen stämmigen Burschen, unter seiner Bemalung fast unkenntlich, behängt mit einer Reihe von Knochenketten und einem gebleichten Schulterblatt. Der Pater ahnte, daß es von einem Menschen stammte. Samuel, der den Pater begleiten mußte und dem ein Kassettenrekorder kein Zauberding mehr war – auf der Missionsstation hatte er oft Musik damit gehört –, übersetzte die Worte des Paters.
»Tritt vor.«
Der Uma zögerte und blickte zu Dai Puino hinüber. Ein Wink ließ ihn gehorchen. Pater Lucius hielt ihm das Mikrofon vor den Mund. Der Krieger starrte es an wie einen runden Schlangenkopf und bekam weite, zitternde Augen.
»Sprich ein paar Worte«, sagte Samuel.
Der Uma schwieg. Er war im Stamm ein großer Held, der neun Köpfe erbeutet hatte und bei dem jeder Pfeilschuß ein Treffer war. Aber jetzt stand er stumm und steif da.
»Sag etwas«, drängte Samuel. »Sag: ›Wir werden die Pogwa aus ihren Dörfern verjagen, ihre Köpfe nehmen, ihre Frauen zu uns bringen, ihre Hütten abbrennen. Die Pogwa sind unsere Feinde.‹«
Der mutige Krieger würgte. Er starrte auf das Mikrofon, öffnete ein paarmal den Mund, aber kein Ton kam hervor. Pater Lucius stellte den Rekorder auf Empfang. Gleich, dachte er, gleich bricht es aus ihm heraus. Ich erkenne es an seinem Blick. Und plötzlich war die Stimme da, rauh, tief und fast schön in ihrem Klang, Worte sprudelten hervor, Kaskaden von Lauten, die ebenso plötzlich mit einem kurzen, scharfen Kriegsschrei endeten.
Pater Lucius stellte den Rekorder ab. »Fabelhaft«, sagte er und nickte dem mißtrauischen Krieger zu. »Und jetzt, mein Junge, hörst du dich selbst.« Er drückte den Knopf ›Play‹ und drehte auf volle Lautstärke.
Ein leises Rauschen und dann klar und voll und jedem verständlich die Stimme des großen Kämpfers: »Wir werden die Pogwa aus ihren Dörfern verjagen, ihre Köpfe nehmen …«
Wie vom Blitz getroffen fiel der Krieger um. Dai Puino sprang auf und streckte seinen Speer zum Stechen vor. Die Frauen jammerten auf.
Sap Tanana, der Held des Stammes, ist in den kleinen Kasten verzaubert worden. Seine Seele hat er verloren, gefangen ist sie für immer von den Geistern, sie spricht aus dem Zauberding, das der weiße Gott in seiner Hand hält. Sap Tananas Seele ist von uns gegangen …
Pater Lucius ging auf Dai Puino zu. Der Alte duckte sich, als wolle er ihn mit dem Speer anspringen, und schrie ein paar Worte
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