Tal ohne Sonne
eingeschlossen vom sicheren Tod. Ein merkwürdiges Gefühl im Nacken ist das, ein Brennen im Hals. Man möchte sich einen nassen Lappen um die Schultern legen …
»Hätte ich doch meine MPi mitgenommen!« knurrte Reißner. »Verdammt, was macht Zynaker da, der Idiot?«
Aus dem Haus war jetzt Dai Puino getreten, im Gegensatz zu den Kriegern kaum bemalt; nur zwei große gebogene Eberzähne staken in den beiden Nasenlöchern, und um den Hals trug er eine Kette aus menschlichen Hals- und Rückenwirbeln.
Über dem Dorfplatz lag plötzlich eine lähmende Stille. In dem Viereck der Krieger stand eine hochgewachsene, muskelbepackte und von der Stirn bis zu den Zehen wild bemalte Gestalt.
Hano Sepikula.
Und genau in diesem Augenblick sagte Zynaker zu Samuel: »Los!«, und sie trugen den Flugzeugsessel zum Baumthron des Häuptlings. Reißner riß seine Kamera ans Auge.
»Das war nicht abgesprochen«, stammelte Pater Lucius entsetzt. »Leonora, was hat Zynaker vor? Wissen Sie davon?«
»Nein. Er hat mir nie gesagt, warum er den Sessel hat mitschleppen lassen. Aber sehen Sie doch!« Leonora krallte ihre Finger in Pater Lucius' Arm. »Jetzt begreife ich es.«
»Ich nicht.«
Zynaker und Samuel blieben ein paar Schritte vor Dai Puino stehen, stellten den Flugzeugsessel ab und fingen die erwartungsvollen Blicke des Alten auf. Ein deutliches Glitzern war in seinen Augen.
»Übersetz, Samuel«, sagte Zynaker laut zu ihm. »Und laß kein Wort aus. Jedes Wort ist wichtig.«
»Ja, Masta.«
»Also: Zum Zeichen, daß Dai Puino der größte Häuptling unter allen Häuptlingen ist, bringen wir ihm einen neuen Sitz, der ihn über alle erhebt. Kein anderer Mensch auf dieser Welt hat einen solchen Thron. Es gibt ihn nur einmal, und wir schenken ihn dem großen Dai Puino. Wenn er gleich darauf Platz nimmt, ist er der Häuptling aller Häuptlinge. Und alle, die einmal nach ihm Häuptling der Uma werden, sind es auch. Gib uns das Zeichen, daß wir den alten Sitz entfernen und den neuen Sitz für dich aufstellen.«
»Das ist das tollste Ding, das ich je erlebt habe!« sagte Reißner atemlos. »Ich glaube, ich habe Zynaker unrecht getan.« Dai Puino starrte den wunderschönen Flugzeugsessel an. Es war ein Ding aus einer anderen Welt, aus einer Götterwelt. Kein anderer hatte einen solchen Sitz, kein anderer wurde so mächtig wie er.
Dai Puino nickte kurz. Zynaker und Samuel packten den Sitz aus geschnitztem Wurzelholz, trugen ihn zur Seite und setzten den Flugzeugsessel an seine Stelle. Dann traten sie zur Seite, und Zynaker sagte zu Dai Puino: »Wenn du dich setzest, bist du der Größte.«
Dai Puino zögerte nur einen Augenblick. Er trat vor, stellte sich vor den Sessel und blickte stolz zu Hano Sepikula, seinem Bruder, hinüber. Wenn ich mich setze, bin ich unbesiegbar, hieß dieser lange Blick. Die Kraft der Götter ist um mich, die Geister und Dämonen haben keine Macht mehr über mich. Bruder, der Kampf ist entschieden.
Mit einem wilden Ruck hob er seinen Speer hoch in die Luft, stieß einen gellenden Schrei aus, setzte sich dann in den Prunksitz, rekelte sich zwischen den Lehnen, drückte den Kopf an die Rückenlehne mit dem Nackenpolster und stampfte mit den Füßen auf.
Reißner jagte mit dem Automaten Bild um Bild durch seine Kamera. »Das wird die Serie des Jahrhunderts!« rief er. »Bravo, Donald, bravo!«
Kaum hatte sich Dai Puino in die Polster fallen lassen, stießen über fünfhundert Speere in die Luft, und ein Schrei aus fünfhundert Kehlen schien den Himmel aufzureißen. Gleichzeitig aber stürzten zehn Krieger wie eine Woge auf den erstarrten Hano Sepikula, warfen ihn zu Boden, nahmen ihm Speer, Pfeile und Schild weg und setzten ihm Messer aus scharf geschliffenen spitzen Steinen an den Hals und auf die Brust. Hano Sepikula lag regungslos, Arme und Beine gespreizt, auf der Erde, bereit, seinen Kopf dem siegreichen Bruder zu überlassen.
»Donald, verhindern Sie diesen Mord!« brüllte Pater Lucius und stürzte vor. »Das soll ein Fest des Friedens, aber nicht des Tötens sein! Samuel, sag es Dai Puino!«
Zögernd übersetzte Samuel.
Reißner war außer sich vor Begeisterung. Nachdem der Film der ersten Kamera belichtet war, fotografierte er mit der zweiten Kamera weiter. »Pater, Sie Spielverderber!« rief er. »Ich wäre der einzige Mann der Welt gewesen, der Kopfjäger beim Kopfabschneiden fotografiert!«
»Sie Ungeheuer!« sagte Leonora neben ihm, ihre Stimme zitierte vor Empörung. »Sind Sie überhaupt
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