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Tal ohne Sonne

Tal ohne Sonne

Titel: Tal ohne Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ein Mensch?«
    »Nein, ein Fotoreporter. Nach der Reportage kann ich wieder Mensch sein, während der Arbeit ist das Luxus.«
    Dai Puino sagte ein paar laute Worte. Die auf Hano Sepikula knienden Krieger richteten sich auf und traten in das Viereck zurück. Hano Sepikula blieb liegen, regungslos, als habe man ihn schon geschlachtet. Er war tot, auch wenn er weiterlebte; er war zu einem Nichts geworden, das nicht einmal mehr die Hunde wahrnehmen würden. Er war der letzte aller Krieger geworden, der nicht mehr kämpfen durfte, sondern nur noch die Speere und Pfeile der anderen tragen konnte. Er war geächtet, keine Frau würde ihn mehr zu sich lassen. Wozu noch leben? Bruder, töte mich. Sei gnädig, nimm meinen Kopf in dein Haus.
    Zynaker und Samuel waren zu den anderen zurückgekommen und standen wieder in der Reihe.
    »Das war genial, Donald«, sagte Pater Lucius heiser vor Erregung. »Sie haben den Bruderkrieg entschieden. Ein Flugzeugsitz als einmaliger Thron – daß mir dieser Gedanke nicht gekommen ist! Auch ich habe wie Reißner gedacht: Zynaker hat einen Stich.«
    »Ich bitte um Vergebung.« Reißner blinzelte Zynaker zu. »Von diesen Fotos kann ich mir eine Villa kaufen. Ich biete Ihnen zehn Prozent als Entschädigung für allen Ärger an.«
    »Ich brauche Ihr Geld nicht, John Hannibal. Ich wollte nur einen gewaltlosen Frieden.«
    »Was um ein Haar blutig geendet hätte.«
    »Wer konnte ahnen, daß Dai Puino so reagiert?«
    »Er ist und bleibt nun mal ein kopfsüchtiger Kannibale, so jovial er sich uns gegenüber auch benimmt. Er ist das auch nur, weil er weiß, daß wir stärker sind.«
    »Wach auf, Pepau!« sagte Leonora und stieß Schmitz in die Seite.
    Er schrak zusammen. »Was ist, Chefin?«
    »An dir geht das alles vorbei, was? Du hast nur Augen für Lakta. Du frißt sie ja mit deinen Blicken auf.«
    »Ist sie nicht wunderbar?«
    »Hätte man Hano Sepikula den Kopf abgeschnitten, hätte sie ihn präpariert.«
    »Sagen Sie so etwas nicht«, stöhnte Schmitz auf. »Warum sagen Sie das?«
    »Weil es die Wahrheit ist, Pepau. Sie gehört zu einer Urwelt.«
    »Aber sie ist doch ein Mensch.«
    »Sie ist als Mensch geboren, aber zwischen dir und ihr liegen Jahrtausende. Das habe ich dir schon mal gesagt.«
    »Aber sie kann lieben, ich sehe es an ihren Augen, ihren Lippen, ihren Bewegungen.«
    »Wenn das alles ist, was du verlangst –«
    »Pater Lucius wird sie zum Christentum bekehren und sie taufen. Mein Gott, verschwinden nicht Jahrtausende, wenn man das Vaterunser beten kann?«
    »Still, Pepau. Es geht los.«
    Ein dumpfer Hornruf klang über das Dorf. Kaum war er verklungen, dröhnten die Trommeln los, schrillten die Pfeifen, röhrten die Bambustrompeten, zwitscherten die Panflöten. In die Reihen der Krieger und in die geballten Haufen der Frauen und Kinder hinter ihnen kam Bewegung. Erst ein Zucken in den Beinen, dann ein Zucken der Oberkörper, das in ein klatschendes Stampfen überging. Und dann war plötzlich alles nur Rhythmus, wogten an die tausend Leiber hin und her, drehte sich das große Viereck der Krieger im Kreis, schrillten die Stimmen der Frauen, schlug man die Hände gegeneinander, warf die Arme hoch in die Luft, und alles drehte sich wie ein riesiges Karussell, federnwippend, knochenrasselnd, ab und zu unterbrochen von einem tausendstimmigen Geheul, das auf einen niederfiel wie eine kreischende Wolke.
    »So etwas gibt's nie wieder«, stammelte Reißner ergriffen. »Und John Hannibal muß das erleben! Mir platzt gleich das Herz!«
    Ungefähr eine halbe Stunde dauerte der Tanz, der immer ekstatischer wurde, immer schneller, immer atemloser. Und eine halbe Stunde lang lag Hano Sepikula mit gespreizten Beinen und Armen auf der Erde und rührte sich nicht. Er hatte die Ehre verloren, mit den anderen Kriegern zu tanzen. Mit geschlossenen Augen hörte er die Musik und den Gesang und spürte unter sich die Erde zittern von den stampfenden Füßen. Er wußte nicht, was Weinen ist, er hatte noch nie Tränen in den Augen gehabt, aber er spürte zum erstenmal ein Gefühl, das seine Kehle zucken ließ, das vom Herzen aus ein Zittern durch den Leib schickte, und daß etwas seltsam Feuchtes in seine Augen lief. Er weinte und wußte nicht, was es war …
    Nach dem Tanz verschwanden die Frauen, um das Essen zu holen und auszuteilen. Eine Abordnung der gelbgesichtigen Krieger marschierte zu den ›weißen Göttern‹ und legte die Geschenke der Uma nieder: an den Füßen zusammengebundene, quietschende

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