Talk Talk
Oberteil, schwarze Caprihose. Sie wischte den Tisch ab, und jetzt – unvermittelt und mit wild klopfendem Herzen schwang Dana das Glas herum und zeigte mit dem Finger über das Wasser, als verfolgte sie den Flug einer Schar Gänsesäger – sah die Frau sie direkt an.
Dana spürte Bridgers Hand am Fernglas und ließ es los. Er spielte das Spiel mit und schwenkte das Fernglas hierhin und dorthin, als wollte er die imaginären Vögel nicht aus den Augen lassen, doch was er sagte, war: »Wer ist das? Seine Frau?«
Dana sah noch immer auf die Wasserfläche hinter der ausgebleichten Redwoodterrasse des Hauses Nummer 109 und nickte. »Wahrscheinlich«, sagte sie. »Wenn es das richtige Haus ist.«
Bridger sah auf die Terrasse und dann wieder durch das Fernglas. »Hast du noch jemand anders gesehen? Einen Mann? Ist er auch da?«
Schließlich hielt sie die Spannung nicht mehr aus. Mit sanftem Griff entwand sie Bridger das Glas, ließ den Blick kurz über die Bay schweifen, zog ihn am Arm herum und führte ihn den Weg zurück, den sie gekommen waren: zwei Vogelliebhaber auf den Spuren ihrer flüchtigen Beute. Als sie fünfzig Schritte gegangen waren, lehnte sie sich an ihn; sie blieben stehen und blickten über das Wasser. »Was jetzt?« fragte sie, und wenn sie sich hätte hören können, wenn sie eine Figur in einem Buch gewesen wäre, hätte sie ihren Ton vielleicht als »verzweifelt« bezeichnet, denn so fühlte sie sich. Die Frau hatte ihr genau in die Augen gesehen – jedenfalls war es ihr so vorgekommen. Mit einemmal war da ein Gesicht, ein Mensch aus Fleisch und Blut: dunkle Augen, dunkles Haar, Caprihose.
Bridger schob sich in ihr Blickfeld. »Wir sollten einfach läuten.«
Er hatte recht. Sie wußte, daß er recht hatte. »Sollen wir nicht noch ein bißchen...warten? Noch ein bißchen beobachten, meine ich. Wenn er auftaucht und aus dem Wagen steigt, können wir die Nummer notieren –«
»Und dann?« Sein Mund war schmal wie ein Schnitt. Er war entschlossen, das konnte sie sehen. Eine leise Brise kam auf, frisch und angenehm, und blies ihr das Haar ins Gesicht, so daß sie nicht sah, was er als nächstes sagte. Aber seine Finger waren da und strichen ihr sanft über das Gesicht. »Komm«, drängte er. »Wir gehen gemeinsam hin und läuten, das ist alles. Wir wollen Freunde besuchen. Die Goldsteins. Wir fragen sie, ob sie weiß, wo die Goldsteins wohnen – mal sehen, was passiert, und ob dieser Schweinehund da ist. Vielleicht kommt er selbst an die Tür. Mehr wollen wir ja nicht. Mal sehen.«
Sie widersprach nicht. Sie schlenderten auf dem Kiesweg zwischen den sanft gewellten Rasenflächen und sorgsam gepflegten Blumenbeeten, die der Landschaftsgärtner angelegt hatte, damit die Bewohner von Shelter Bay Village sich an dem Kontrast erfreuen konnten, wenn ihr Blick über das Grundstück und die Hügelkette jenseits der schimmernden Wasserfläche schweifte. Hinter der Häuserreihe tauchte eine junge Frau in Jeans und Windjacke auf und trabte auf sie zu. Ein kleiner schwarzer Hund hüpfte angeleint vor ihr her. Eine andere Frau stieg auf dem Parkplatz aus einem Wagen und beugte sich noch einmal hinein, um Handtasche und Einkaufstüte herauszuholen. Dana fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Vor ihren Augen flimmerte es, doch dieses Flimmern war irgendwie ungreifbar. Und dann standen sie vor der Tür – dicke Fußmatte, zwei Blumentöpfe mit Begonien, Türklopfer aus Messing –, und sie war froh, daß sie das Geräusch des Summers, das Bridgers Zeigefinger ertönen ließ, nicht hörte.
Die Tür wurde abrupt geöffnet, und da stand die Frau, noch hübscher, als sie aus der Ferne ausgesehen hatte, und auch ein Kind war da, ein vier- oder fünfjähriges Mädchen, das mit seinem ganzen Gewicht am Handgelenk seiner Mutter hing – die Frau war die Mutter, da gab es keinen Zweifel. Sie sah sie ausdruckslos an. »Ja?« sagte sie. »Kann ich Ihnen helfen?«
Bridger sagte etwas, was sie für einen Augenblick erstarren ließ: »Ist Dana da?«
Das Kind zerrte und rief: »Mommy, Mommy«, und dann noch etwas, was Dana nicht verstand. In diesem Moment veränderte sich der Gesichtsausdruck der Frau: Ihre Augen blickten abweisend, und ihr Mund zog sich um den bitteren Geschmack der Lüge zusammen. »Nein«, sagte sie, »Sie haben sich geirrt im Haus.« Sie warf ihrer Tochter einen mahnenden Blick zu und sah dann wieder zu Bridger und Dana. »Hier lebt niemand, der so heißt.«
ZWEI
»Wie meinst du das – sie haben nach
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