Talk Talk
Augen sprechen. Ja , sagten ihre Augen, ja, ich bin anders , und es tat nur ein winziges bißchen weh zu sehen, daß es diesmal die Frau war, die den Blick abwenden mußte.
Außer den üblichen Postwurfsendungen und hoffnungsvoll an »den Inhaber« adressierten »einmaligen Angeboten« schien das Postfach drei oder vier reguläre Briefsendungen zu enthalten. Auf einem Umschlag sah Dana ganz kurz das Logo einer großen Gesellschaft – war das eine Rechnung? –, bevor sie das ganze Bündel mit zitternden Händen packte und sich zwang, gemessenen Schrittes zum Ausgang zu gehen, wo sie sogar noch einmal über die Schulter blickte und der Frau hinter der Theke mit zwei Fingern einen Dank zuwinkte. Bridger wartete draußen. Gemeinsam überquerten sie die Straße, wobei sie sorgfältig auf den Verkehr achteten und sich einen Anschein von Ruhe und Gelassenheit gaben. Dann saßen sie im Wagen, und die Post – Dana Halters Post – gehörte ihnen.
Die Überraschung war Bridger. Er war so aufgeregt, daß er ihr das Bündel aus den Händen riß und durchblätterte. Ungeduldig warf er die Handzettel und Hochglanzprospekte auf den Boden. Auf seinem Gesicht war ein Ausdruck entschlossenen Triumphs, etwas Hartes, das sie dort noch nie gesehen hatte. Man hätte meinen können, er sei derjenige, dessen Identität gestohlen worden war. Schließlich hatte er die Briefe aussortiert – drei, allesamt an das Postfach adressiert –, aber es war Dana, die die Rechnung mit dem PG&E -Logo aus dem Stapel der weggeworfenen Prospekte zog und frohlockend hochhielt. Vielleicht sagte er: »Bingo!« oder »Treffer!«, aber eigentlich war das gar nicht nötig. Sie beide wußten, was das bedeutete. Jetzt hatten sie ihn. Sie hatten ihn aufgespürt.
»Mach ihn auf«, sagte Bridger.
Das Lächeln tat ihr fast weh. »Das ist eine Straftat.«
»Quatsch«, sagte er oder irgend etwas in diesem Sinne. »Und was ist mit Identitätsdiebstahl? Ist das keine Straftat? Mach ihn auf.« Er griff nach dem Umschlag, aber sie war schneller, zog die Hand zurück und steckte den Brief zwischen Sitz und Tür. Plötzlich hatte sie Angst vor dem, was sie erfahren würden. Sie waren so nah dran. Vor ihrem inneren Auge erschienen das Gesicht des Diebs, die spöttischen Augen, das arrogant gereckte Kinn. So nah. Ihr Magen zog sich um die Reste des zähen Croissants und des sauren Kaffees zusammen, des Frühstücks, das sie vor Stunden an einer Tankstelle gegessen hatten. Bridger sagte etwas, angespannt und drängend – sie spürte seinen Atem –, doch sie schloß die Augen, sperrte ihn aus. Er legte die Finger an ihr Kinn und wollte ihren Kopf drehen, aber sie schüttelte ihn ab. Stumm zählte sie bis zehn, dann riß sie den Umschlag auf.
Die Lieferadresse für Strom und Gas sprang sie förmlich an und ließ sie zusammenfahren, als wären ihre Hörnerven mit einemmal wieder in Ordnung und jemand hätte ihr ins Ohr geschrien:
Shelter Bay Village 109
Mill Valley, CA 94941
Bridger schlug auf das Armaturenbrett und legte den Kopf zu einem Triumphgeheul in den Nacken, dann machte er zweimal eine pumpende Bewegung mit der Faust und bleckte in einem Jubelschrei die Zähne. Situation und Zusammenhang verrieten ihr, was er rief: »Jaaa!«
Die anderen Briefe enthielten wenig Erhellendes. Bei den ersten beiden handelte es sich um Reklame von Kreditgesellschaften, die in einer hübschen Computerschrift mit Name und Anschrift versehen war, um den Empfänger zum Lesen zu verleiten. Der dritte jedoch war interessanter. Die Adresse auf dem Umschlag lautete An den Typ, P.O. Box 2120, Mill Valley, California , und enthielt ein dreifach gefaltetes gelbes, liniertes Blatt Papier, das von einem Block gerissen war. In einer großen, bauchigen Handschrift stand da, diagonal geschrieben, eine rätselhafte Nachricht: Hi, die Sache, über die wir geredet haben, läuft, null Problemo. Bis bald, ciao, Sandman.
»›Bis bald‹«, las Dana laut und sah Bridger an.
Er war in Gedanken versunken, die Züge seines blassen, runden Gesichts waren in Bewegung wie treibende Kontinente. Sein Haar stand in alle Richtungen ab. Er fuhr mit der Hand hindurch. »Will er irgendwohin? Ich meine, dieser Dana, dieser Frank oder wie immer er heißt – plant er vielleicht eine Reise?«
»Woher kommt der Brief?«
Bridger drehte den Umschlag um. Er war vor vier Tagen in Garrison, New York, abgestempelt worden. »Wo liegt Garrison?«
»Ich glaube, in der Nähe von Poughkeepsie«, sagte sie. »Oder
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