Talk Talk
sagte er.
Der Mann hatte die Durchsicht seiner Post beendet, drehte sich auf einem Fuß abrupt um und kam mit schnellen Schritten, ein paar Rechnungen und einen großen braunen Umschlag an die Brust gedrückt, auf sie zu, und Dana erkannte, wie sehr sie sich getäuscht hatte: Selbst mit Sonnenbrille und dem ins Gesicht gezogenen Mützenschirm hatte er keinerlei Ähnlichkeit mit dem Mann auf den Fotos. Er war älter, die Haare, die unter der Mütze hervorsahen, ergrauten bereits, die Nase war eine aus Lehm geformte Knolle und der Mund in einem Ausdruck permanenter Entrüstung erstarrt. Es war nicht der Dieb. Es war nicht Frank Calabrese oder wie immer er hieß. Es war ein Niemand. Ungeduldig stürzte er hinaus und eilte die Straße hinunter, und noch immer rauschte das Blut in ihren Adern.
»Na gut«, sagte Bridger und drehte sie herum, bis sie ihn ansah, »wir gehen jetzt zu der Theke da, und du bist Dana Halter. Okay? Streß dich nicht. Ich sage dir, das ist die einzige Möglichkeit.«
Aber sie streßte sich. Sie war nicht cool, sie hatte es nicht auf der Reihe, sie war im Grunde nicht mal willens, und doch ließ sie sich von ihm zum Tresen führen und sah die untersetzte Frau mit einem Lächeln an, das diese sogleich erwiderte. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte die Frau. Das war leicht zu verstehen. Situation und Zusammenhang waren alles.
»Ja, bitte«, sagte Dana und senkte den Blick, als sie ihren Führerschein aus der Geldbörse zog und auf den Tresen legte. »Ich bin Dana Halter«, sagte sie und sah wieder auf. »Ich habe... Ich weiß auch nicht, ich habe anscheinend den Schlüssel zu meinem Postfach verlegt...«
Die Frau war jünger, als sie auf den ersten Blick ausgesehen hatte. Sie war so blaß, daß sie geradezu anämisch wirkte, und trug einen rosaroten Pullover mit Zopfmuster, das ihre Schultern und Oberarme unvorteilhaft betonte, und eine klotzige Brille mit durchsichtigem Kunststoffgestell. Doch entscheidend waren ihre Augen, und die blickten unbefangen. Sie warf nur einen kurzen Blick auf den Führerschein und schob ihn wieder zurück. »Kein Problem«, sagte sie. Ihr Lächeln wurde breiter, und dann sagte sie noch etwas.
»Wie bitte?«
Die Frau sah zu Bridger, und Bridger antwortete etwas.
»Sie hat gesagt«, wiederholte er, zu Dana gewandt, und sprach so langsam, daß sie von seinem Mund ablesen konnte, »daß ein Ersatzschlüssel fünfundzwanzig Dollar kostet, und ich habe gesagt, das ist okay. Oder, Schatz?«
»Ja«, sagte sie, nickte energisch und sah wieder die Frau an, »klar. Das ist in Ordnung, und es tut mir wirklich leid – es ist meine Schuld und nicht die von meinem Verlobten.« Jetzt begann sie auszuschmücken – Lügen erforderten immer Ausschmückungen. »So was Blödes.« Sie wandte sich zu Bridger und spielte das Dummchen, das hirnlose Püppchen. »Ich mach’s wieder gut, Schatz«, sagte sie. Die Sache begann ihr zu gefallen, besonders das Zucken, das das Wort »Verlobter« in Bridgers Gesicht auslöste. Aber dann sagte die Frau wieder etwas, und Dana mußte abermals fragen: »Was?«
»Die Nummer«, sagte die Frau. »Welche Nummer?«
Das war der Augenblick, den sie gefürchtet hatte: Jeder normale, ehrliche Mensch hätte die Nummer sofort parat gehabt, doch Dana hatte sie nicht parat, denn sie war eine Hochstaplerin, sie war gar nicht Dana Halter. Oder jedenfalls nicht dieser Dana Halter. Sie spürte, wie ihre Lippen sich anspannten. Für einen Sekundenbruchteil schlug sie die Augen nieder, senkte den Blick wie eine Verbrecherin, eine Lügnerin, eine Betrügerin, und sie mühte sich, ihre Stimme zu beherrschen, als sie die zurechtgelegte Version abspulte: daß dies ihr Zweitwohnsitz sei und daß sie lange fort gewesen seien und sie, wie sie gestehen müsse, die Nummer – war das zu glauben? – einfach vergessen habe. Aber hier seien ihre Ausweise: Sie schob abermals den Führerschein über den Tresen, kramte ihre Sozialversicherungskarte und die Kreditkarte einer großen Gesellschaft hervor und fragte die Frau in ihrem freundlichsten Ton, ob sie die Nummer in den Unterlagen nachsehen könne.
Das Lächeln im Gesicht der Frau hinter dem Tresen war jetzt verschwunden, und es war keine Sympathie mehr in ihren Augen. Sie wirkte nicht so sehr mißtrauisch als vielmehr unbehaglich: In ihr begann etwas zu begreifen, und Dana erkannte es und machte es sich zum erstenmal in ihrem Leben zunutze. Sie stand ganz still, verharrte in einer Stille, die nie endete, und ließ ihre
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