Talk Talk
vielleicht Peterskill. Das ist vielleicht noch näher.«
»Also ein bis anderthalb Stunden nördlich von New York?«
Sie zuckte die Schultern. »Ja. Kann sein.«
Die Sonne schien jetzt auf den Wagen, und obgleich die Temperatur draußen angenehm war – so um die zwanzig Grad, schätzte sie –, spürte Dana auf einmal die Hitze und kurbelte das Seitenfenster herunter. Als sie zum Wagen gegangen waren, hatte sie sich auf den Fahrersitz gesetzt. Immerhin war es ja ihr Wagen, auch wenn Bridger während des größten Teils der Fahrt am Steuer gesessen hatte. Nun sah sie hinaus auf die geruhsam-geschäftige Straße und mußte schlucken. »Was jetzt?« fragte sie, und Bridger zog sie unbeholfen am Lenkrad vorbei an sich. Sie hielten sich umarmt, und dann lehnte er sich wieder zurück, damit sie sein Gesicht und seine Antwort sehen konnte. »Wir schnappen ihn uns.«
»Wir?« Ihr wurde kalt, aber es war eine stete, kristalline Kälte, und ihre Angst war verschwunden. Nur damit es gesagt war, sagte sie: »Und was ist mit der Polizei? Sollten wir nicht einfach zur Polizei gehen?«
Er sah sie entrüstet an. »Die Polizei? Ja, genau. Damit wir noch mal dieselbe Scheiße erleben wie in San Roque. Außerdem: Was ist, wenn er wirklich vorhat, sich in die« – das Wort verstand sie nicht gleich – »Hinterwälder abzusetzen? Nach« – er buchstabierte es mit den Fingern – »Poughkeepsie oder wohin auch immer? Oder was, wenn das hier gar nicht seine Adresse ist?« Er sah ihr in die Augen, ernst, wütend. All sein Ärger kochte hoch, seine Wut, seine Liebe . Aber war es wirklich Liebe oder bloß ein Zucken des männlichen Egos, der Wunsch, dem Ruf des Testosterons zu folgen und handgreiflich zu werden?
Egal. Sie war entschlossen, nicht über den Augenblick hinauszudenken. Sie hatte eine Adresse, und dort versteckte sich ein Dieb. Als sie den Zündschlüssel drehte und den Anlasser quälte – hier war Bridger wieder ihr Ohr und machte das passende Gesicht –, wußte sie, daß sie diese Sache durchziehen würde bis zum bitteren Ende.
Der Nebel auf den Bergen hatte etwas Apokalyptisches, als bestünde er aus Giftgas, das sich gleich über die Baumkronen wälzen und alles Leben ersticken würde, und doch stand die Sonne noch hoch und wärmend am Himmel, und die Brise roch frisch. Zu einer anderen Zeit, in einer anderen Stimmung hätte sie den Nebel vielleicht beruhigend gefunden, eine der Erscheinungen, auf denen der Charme der Bay Area beruhte, aber nicht heute, nicht jetzt. Es war fünf. Sie hatten bei Noah’s Bagels zu Mittag gegessen, obwohl sie gar nicht hungrig gewesen war (oder vielmehr: Sie war hungrig gewesen, hatte dann aber keinen Bissen hinunterbringen können), und so hatten sie ein wenig Zeit gefunden, um wieder Boden unter den Füßen zu bekommen und ihren nächsten Zug zu planen. Oder wenigstens darüber nachzudenken, denn sie wußten beide, daß nichts und niemand sie davon abhalten würde, zum nur fünf Minuten entfernten Shelter Bay Village zu fahren. Aber was dann? Würden sie ihn stellen? Die Polizei anrufen? Ihn selbst niederschlagen und fesseln?
Sie beschlossen, sich das Haus mal anzuschauen, einfach so (»da mal näher ranzugehen«, wie Bridger es ausdrückte; sie nahm an, daß dieser Ausdruck im Digital-Dynasty-Studio gebräuchlich war, und fragte sich, ob »ranzuzoomen« nicht das adäquatere Wort wäre). Und hier waren sie jetzt, vor einer Reihe von terrassenförmig angeordneten Doppelhäusern aus Redwood, jedes so ausgerichtet, daß man die denkbar beste Sicht hatte. Unter Palmen gingen sie Hand in Hand auf einem kiesbestreuten Weg, der in einem weiten Bogen am Wasser entlangführte. Und tatsächlich hatte Dana ein Fernglas mit Zoomvorrichtung um den Hals hängen, und sollte irgend jemand sie fragen, so war sie eine völlig harmlose, leicht schrullige Vogelbeobachterin – sehen Sie den Graureiher dort? Und da, ein Silberreiher!
Bridgers Blick war auf die Terrasse des nächsten Hauses gerichtet, das, wie sie an der Straße festgestellt hatten, die Nummer 109 hatte. War da eine Bewegung? Er berührte Danas Arm, und sie hob möglichst unauffällig das Fernglas. Zunächst sah sie nichts, nur die spiegelnden, gleißenden Flächen der großen Fenster, die zwischen Silber und Schwarz oszillierten. Sie stellte das Glas scharf, und eine Gestalt erschien, die Gestalt einer Frau, die sich über einen Tisch mit Glasplatte beugte. Einer jungen Frau. Hübsches Gesicht, dunkles, aufgestecktes Haar, blaues
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