Tallinn-Verschwörung
loggte sich in das interne Netz seiner Dienststelle ein. Von hier aus war es leicht, in die Datenbank der Kripo einzudringen. Er rief die Datei auf, in der Andreas Tod dokumentiert war, und las die Akte mit wachsendem Grimm durch. Schnell gewann er den Eindruck, als habe Trieblinger seine Abneigung gegen ihn auf diesen Fall übertragen, denn die Untersuchungen waren oberflächlich geführt und jeder Anhaltspunkt, der gegen die voreingenommene Meinung des Kripobeamten gesprochen hätte, außen vor gelassen worden.
Dabei gab es durchaus einige Verdachtsmomente, denen der Mann hätte nachgehen können. Torsten rief die Fotos der Toten auf, die im gerichtsmedizinischen Institut gemacht worden waren, und konzentrierte sich auf die Verletzung am Kopf, die er bereits bei Andreas Leiche entdeckt hatte. Die gewellte rote Linie war deutlich zu sehen, und die Wunde war leicht angeschwollen. Also musste diese Verletzung bereits vor ihrem Tod verursacht worden sein. Das Muster der Verletzung erregte in Torsten einen weiteren Verdacht. Er betrachtete seine Fingerknöchel und stellte sich vor, einen Schlagring zu tragen.
Daher rief er den Katalog eines Onlinewaffenhändlers auf, der auch Waffen und Gerätschaften anbot, die in Deutschland verboten waren, und blätterte ihn durch, bis er einen Schlagring fand, dessen Form genau zu der Verletzung an Andreas Schläfe passte.
Für einen kurzen Moment überlegte er, Trieblinger zu informieren, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Der Idiot würde ihm ohnehin nicht glauben. Nachdem er nun ganz sicher war, dass Andreas Tod von dritter Seite herbeigeführt worden war, stellte sich für ihn die Frage, wie es zu
der Tat hatte kommen können und wie es sich abgespielt hatte. Ein Anruf bei der Klinik brachte die Auskunft, dass seine Freundin an dem betreffenden Tag zehn Stunden länger gearbeitet hatte, als im Dienstplan vorgesehen war. Hoikens oder wer auch immer ihr aufgelauert hatte, hätte die Geduld eines Elefanten haben müssen, um so lange zu warten, und das konnte Torsten sich nicht vorstellen. Die Kerle hätten nach einer Weile aufgegeben und es zu einem anderen Zeitpunkt wieder versucht.
Je länger er über die ganze Sache nachdachte, umso rätselhafter erschien sie ihm. Dabei war es so schön einfach gewesen, zu glauben, Hajo Hoikens hätte Andrea getötet, um sich an ihm zu rächen. Torstens Gedanken flogen zurück in die Zeit, die er mit Hoikens im Sudan verbracht hatte. Mit einer Gruppe deutscher und dänischer UN-Soldaten hatten sie ein Gebiet in Darfur bewachen müssen. Trotz gelegentlicher Scharmützel war das ein stinklangweiliger Job gewesen, den viele der jungen Männer mit viel Dosenbier und Pornoheften herumzubringen versuchten. Die einzige Abwechslung waren gelegentliche Besuche in der nahe gelegenen Kleinstadt gewesen, in der ein findiger Sudanese einen kleinen Puff mit einheimischen Frauen und Mädchen eingerichtet hatte. Torsten war zwei- oder dreimal mitgegangen, Hoikens aber hatte es strikt abgelehnt und immer wieder über die Narren hergezogen, die unbedingt, wie er sich ausdrückte, eine Schwarze vögeln wollten.
Damals hatte Torsten sich noch nicht viel dabei gedacht, auch nicht, als die Soldaten, die sich im Camp befanden, von Spam-Mails mit rechtsradikalem Inhalt überschwemmt worden waren. Lange hatten sie gerätselt, wie die Neonazis an ihre E-Mail-Adressen gekommen sein konnten, bis Torsten es durch einen Zufall herausfand. Hoikens war von seinem Computer weggeholt worden, und da Torsten zu faul war,
den eigenen Laptop anzuwerfen, setzte er sich an dessen Kiste. Das Erste, was er entdeckte, war eine Mail von Feilings Patriotischer Aktion, in der Hoikens für seine Informationen gelobt wurde. Außerdem dankte ihm Feiling dafür, dass er ihm so viele E-Mail-Adressen geschickt hatte, mit deren Hilfe er weitere Kämpfer zu rekrutieren hoffte.
Torsten fühlte sich damals wie vom Blitz getroffen. Sein Kamerad war nicht einfach ein streng konservativer Soldat, von denen es viele gab, sondern Faschist und aktives Mitglied in einer verbotenen Organisation – ein Verräter und Kameradenschwein! Torsten tat damals, wie es später von höherer Stelle hieß, das einzig Richtige und übergab Hoikens’ Laptop dem Lagerkommandanten.
Von diesem zur Rede gestellt, leugnete Hoikens die Sache weder, noch stellte er es als Dummer-Jungen-Streich hin, sondern er erklärte, dass die korrupte Republik ebenso zerschmettert gehöre wie damals die Weimarer Republik. Narren
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