Tallinn-Verschwörung
seinen Gastgeber beruhigen sollten. Monteleone war ein Edelmann und ließ sich die Abscheu vor den pöbelnden Rechtsradikalen deutlich anmerken. Sein Ziel war eine Herrschaft des Glaubens mit dem Papst als allgemein anerkanntem Oberhaupt. Allerdings würde ein anderer Papst die Stelle des jetzigen einnehmen müssen, denn Benedetto XVI. hatte die Hoffnungen der Strenggläubigen bitter enttäuscht.
Winter streifte Monteleone mit einem raschen Seitenblick. Als kurzfristige Lösung mochte der alte Mann sich als neuer Papst eignen. Was danach kam … Winter sah sich selbst mit der Tiara der Päpste gekrönt und lächelte. Dazu
würde es jedoch nur kommen, wenn die Söhne des Hammers hart und präzise zuschlugen.
Er beugte sich vor und legte seine Hand auf Monteleones Arm. »Nun, Bruder Giuseppe, hast du bei deinen Bemühungen für meine Belange bei Seiner Heiligkeit bereits etwas erreicht?«
SECHZEHN
I n ihrem Versteck schüttelte Graziella ein über das andere Mal den Kopf. Winter konnte nicht ganz bei Sinnen sein! Kein normaler Mensch würde ein so verqueres Weltbild entwickeln. Normalerweise hätte sie über seine Ansichten gelacht, aber der Mann war in einer Position, in der er anderen seine Sicht der Dinge aufnötigen konnte, und daher war diese Art von Verrücktheit gemeingefährlich. Graziella war so katholisch erzogen worden, dass sie viele Dogmen der Kirche als gegeben hinnahm, die andere Menschen anzweifeln mochten. Doch das, was Winter von sich gab, ließ sie die Stacheln aufstellen. Bei dem Türken im Dönerlokal, bei dem sie und ihre Kommilitonen manchmal ein rasches Mittagessen einnahmen, handelte es sich gewiss nicht um einen islamischen Fanatiker mit dem Willen, das christliche Europa zu unterwerfen, und Fadli, der junge tunesische Student, der Arzt werden wollte, um in seinem Heimatland den Menschen helfen zu können, war toleranter als die meisten Italiener.
Natürlich gab es auch bei den Muslimen Fanatiker wie Winter, die vom heiligen Krieg faselten und davon, die Lehre Mohammeds zur weltumspannenden Religion zu machen. Doch mit Gewalt und Terror brachte man andere Menschen
nicht dazu, dasselbe zu glauben, sondern nur, sich zu fürchten und aus dieser Furcht heraus zu hassen.
»Jetzt denke ich schon, wie die Professoren an der Uni reden«, sagte Graziella fast tonlos zu sich selbst.
Das Gespräch im Nebenraum verebbte, als hätte Winter seine Kraft verbraucht, während ihr Großonkel froh zu sein schien, das Thema wechseln zu können. Daher gab Graziella ihren Lauschposten auf und setzte sich an den Schreibtisch. Als sie diesmal den Computer einschaltete und sich in das Datennetz des Vatikans einloggte, gab sie den Suchbegriff »Franz Winter, Weihbischof« ein.
SIEBZEHN
I n München hatte Torsten Renk begriffen, dass es nichts brachte, sinnlos durch die Gegend zu streifen und auf einen Zufall zu hoffen. Er musste bei der Suche nach Hoikens systematisch vorgehen. Zunächst galt es jedoch, eine traurige Pflicht zu erfüllen. Die Kripo hatte Andreas Leichnam zur Beerdigung freigegeben, und da es außer einer alten Tante in Sindelfingen keine Verwandten gab, musste er die ganzen Formalitäten mit den Behörden und dem Bestattungsinstitut übernehmen. Andrea hatte keiner Kirche angehört, daher war es eine bescheidene Zeremonie. Außer ihm selbst waren nur ein paar frühere Kommilitonen Andreas und Kollegen aus dem Klinikum Neuperlach anwesend, sowie Major Wagner, der jedoch nicht als Trauergast gekommen war, sondern um nach seinem Untergebenen zu schauen.
»Na, Renk, sind Sie wieder in Ordnung?«, fragte er, während der schlichte Fichtensarg in das Grab gesenkt wurde.
Torsten starrte auf die rechteckige Öffnung, die ihm seine
Freundin nun endgültig nahm, und biss die Zähne zusammen. Er ärgerte sich, weil Wagner seine Mordtheorie als Unsinn abtat. Andrea war umgebracht worden, dessen war er sich sicher, auch wenn er es nicht beweisen konnte. Für einen Augenblick war er gewillt, der Kripo schlampige Arbeit vorzuwerfen, sagte sich aber, dass es den Aufwand nicht wert war. Diese Männer arbeiteten nach Schema F und hatten Andrea nicht so gut gekannt wie er. Für sie mochte alles so aussehen, als hätte es kein Eingreifen Fremder gegeben. Er aber wusste, dass seine Freundin nicht der Mensch gewesen war, der sich bei den ersten Schwierigkeiten im Job aus dem Leben schlich.
»Renk, was halten Sie davon, wenn Sie für zwei Monate in die Staaten gehen? Ein bisschen Anschauungsunterricht bei unseren
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