Tallinn-Verschwörung
starrte ihn erschrocken an. »Andrea ist tot? Mein Gott, wie schrecklich! Es war Mord, sagst du? Na warte, die Kerle sollen was erleben!« Sie trat an ihren Computer, beendete das laufende Programm und klickte die SD-Karte an.
»Saubere Arbeit, Torsten«, murmelte sie, während sich die verwirrenden Zahlenreihen in ihrem Gehirn zu Bildern
formten. »Ich habe inzwischen aber ein besseres Programm geschrieben. Wenn du es willst, kannst du es haben. Es knackt besonders harte Nüsse, an die man mit dieser Methode hier nicht mehr herankommt.«
»Das wäre nicht schlecht.« Torsten war in dem Augenblick froh, dass Petra Waitl nicht zur Gegenseite zählte. Auch wenn er manchmal über sie und ihr ausgeprägtes Selbstbewusstsein lächeln musste, so war sie doch die fähigste Computerexpertin, der er je über den Weg gelaufen war. Beinahe ebenso gut war sie jedoch als Erfinderin und Herstellerin von speziellen Maschinen wie jener, zu der sie jetzt ging. Ein Angestellter eines Schlüsseldiensts hätte beim Anblick des verwirrenden Innenlebens dieser Apparatur sofort kapituliert. Petra hingegen wählte ein Metallstück aus, spannte es ein und drückte den Startknopf.
Summen, Surren und ein leises, aber nervenzerfetzendes Kreischen ertönte, das etwa dreißig Sekunden andauerte. Danach hielt die Maschine wieder an, und Petra nahm einen säuberlich geschliffenen Schlüssel heraus.
»Hier, das müsste der Schlüssel zu Andreas Wohnung sein. Damit kannst du testen, ob du auch die richtigen Daten kopiert hast. Wenn der stimmt, stimmen die anderen Schlüssel auch.«
Torsten nahm den Schlüssel entgegen und verglich ihn mit seinem eigenen. Selbst sein geschultes Auge konnte keinen Unterschied entdecken. »Und du glaubst, er passt wirklich? «, fragte er angespannt.
»Natürlich passt er!« Petra klang beleidigt. »Ich habe ihn gemacht, damit du es erst einmal bei Andreas Schloss probieren kannst. Wie viele von den anderen Schlüsseln brauchst du? Ich muss allerdings gleich sagen, dass ich nicht genug Rohmaterial für eine Massenanfertigung besitze.«
»Ich schätze, dass diese Schlösser fortlaufende Seriennummern
haben. Andreas Schlüssel könnte sowohl der erste wie auch der letzte in der Reihe sein.«
»Acht Stück? Ich muss sehen, ob ich die noch hinkriege.« Petra kramte in einer Schachtel und holte mehrere messingfarbene Metallteile heraus. »Könnte gerade noch hinhauen«, sagte sie mehr für sich und machte sich an die Arbeit.
Torsten sah ihr schweigend zu und sagte sich, dass sie mit ihren Fähigkeiten ein Riesengewinn für den MAD wäre. Doch sie hatte weder mit dem Militär noch mit dem Geheimdienst etwas am Hut. Sie war mehr eine Art Daniel Düsentrieb und folgte ihren eigenen Neigungen. Für einen Augenblick empfand Torsten Neid, denn so zu leben wie Petra hieß, sich die Stürme der Welt am Hintern vorbeiblasen lassen zu können. Dann korrigierte er sich. Auch Petra war auf ihre Weise ein Teil dieser Welt und ihr nicht weniger ausgeliefert als er.
ZWANZIG
D er Schlüssel zu Andreas Wohnung passte, als hätte ihn die holländische Firma selbst angefertigt. Torstens Achtung vor Petras Fähigkeiten wuchs weiter, als ein kurzer Test ihm bewies, dass er die Nebentür mit einem der anderen Schlüssel öffnen konnte. Er betrat die Wohnung jedoch noch nicht, sondern schloss wieder zu und markierte den entsprechenden Schlüssel.
Torsten wusste, dass er mit dieser Aktion die Grenzen der Legalität hinter sich ließ, doch die Gewissensbisse wischte er rasch beiseite. Inzwischen war er zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei dem Mord an Andrea um mehr als um den Vergeltungsakt eines Rechtsradikalen handeln musste.
Aus diesem Grund hatte er sich entschlossen, sein Quartier in Andreas Wohnung aufzuschlagen. Da er das Apartment nicht so schnell räumen musste, eignete es sich ausgezeichnet für seine Zwecke.
Bevor er seine Untersuchungen fortsetzte, spielte er erst einmal Petras neue Software in Andreas Computer ein und wurde kurz darauf ein Opfer der gleichen Begeisterung, die die Computerspezialistin an den Tag gelegt hatte. Petras Code-Knackprogramm war ausgezeichnet. In Kombination mit seinem Wissen gab es wahrscheinlich keinen Computer mehr, in den er sich nicht einhacken konnte.
Als Erstes wühlte Torsten in den Dateien seiner Dienststelle herum und fand heraus, dass die Suche nach Hoikens noch längst nicht aufgegeben worden war, wie Wagner ihm hatte weismachen wollen. Hoikens galt als hohes Sicherheitsrisiko,
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