Tallinn-Verschwörung
und den zahlreich angereisten Neonazis gekommen. Da die Polizei sich derzeit außerstande sieht, die Unruhen sofort zu beenden, ist mit weiteren Opfern zu rechnen. Im Umkreis des Marienplatzes haben kriminelle Elemente den Aufruhr ausgenutzt, um Schaufenster einzuschlagen und zu plündern. Auch das Rathaus wird belagert, und an seinen Türen wurden Brandsätze entzündet. Ein Versuch des Oberbürgermeisters, mäßigend auf die Menge einzuwirken, ist gescheitert.«
Es folgten weitere Reporterstimmen von anderen Standorten, an denen es ebenfalls zu Unruhen gekommen war, und die Warnung, bestimmte Stadtviertel und Straßenzüge zu meiden. Dazu gehörten auch einige Teile Neuperlachs. Aus dem Grund weigerte sich der Taxifahrer kurz darauf, weiterzufahren.
»Da schmeißen die mit Steinen!«, erklärte er und forderte Torsten und die beiden anderen zum Aussteigen auf.
Torsten drückte ihm ein paar Banknoten in die Hand und winkte Jürgen und Claudi, ihm zu folgen. »Die paar Meter schaffen wir auch zu Fuß!«
»Wo wollen Sie mit uns hin?«, fragte das Mädchen.
»Erst einmal in das Apartment, das ich derzeit bewohne. Dort werdet ihr mir erzählen, was ihr über den Kerl mit der Pistole wisst.« Obwohl Torsten sich nicht für einen Mann hielt, der bedenkenlos von seiner Waffe Gebrauch machte, fühlte er bei dem Gedanken an den Tod des Glatzkopfs keine Reue. Der Mann war verrückt gewesen, inmitten dieser Menschenmenge die Waffe zu ziehen. Eine junge Türkin hatte dafür mit dem Leben bezahlt.
ZEHN
D er Wachtposten am Zufahrtstor zu Castel Gandolfo war höflich, blieb aber in der Sache hart. Ohne eine Einladung des Heiligen Vaters oder eines anderen hochrangigen Mitglieds der Kurie dürfe er sie nicht durchlassen, erklärte er Graziella noch einmal.
Die junge Frau funkelte ihn wütend an. »Verstehen Sie nicht? Ich bin eine Verwandte des Kardinals Monteleone und will zu ihm.«
Der Schweizer Gardist zuckte mit den Schultern. »Bedaure, aber Kardinal Monteleone ist nicht hier.«
»Er muss aber hier sein!« Graziella verlor allmählich die Geduld mit dem Mann, der sie für eine aufdringliche Touristin zu halten schien, die sich unbedingt das päpstliche Sommerpalais ansehen wollte.
»Kardinal Monteleone war hier, hat Castel Gandolfo aber inzwischen wieder verlassen«, erklärte der Schweizer gelassen.
Graziella schüttelte ungläubig den Kopf. Gleichzeitig wuchs ihre Sorge um den starrsinnigen alten Mann. Sie war
mittlerweile davon überzeugt, dass sein Freund, Kardinal Rocchigiani, keines natürlichen Todes gestorben war, und fürchtete, ihr Großonkel sei nun ebenfalls in Gefahr.
»Wissen Sie, wohin er wollte?« Immerhin gab es die Möglichkeit, dass ihr Onkel nicht gleich in die Stadt zurückgefahren war, sondern irgendwelche Verwandte aufgesucht hatte. Zwar hatte er nichts in dieser Richtung verlauten lassen, doch war es seinem sprunghaften Wesen zuzutrauen, sich von einem Augenblick zum anderen anders zu entscheiden.
Der Schweizer zuckte mit den Schultern. »Es tut mir leid, aber ich gehöre nicht zu denen, die von den hohen Herrschaften ins Vertrauen gezogen werden.«
»Irgendjemanden muss es doch geben, der es weiß. Wenn Sie mich bitte durchlassen wollen, damit ich nachfragen kann.« Graziella wollte sich an dem Wachtposten vorbeischieben, doch der hielt sie auf.
»Ich sagte doch bereits, dass ich das nicht darf. Also nehmen Sie Vernunft an.«
»Aber ich muss doch wissen, wo mein Großonkel ist. Er ist schon ein älterer Herr und auf seine Medikamente angewiesen. Wenn ich nicht bei ihm bin, vergisst er meistens, sie zu nehmen. Also sollten Sie Vernunft annehmen!«
Die Miene des Schweizers drückte zwar ein gewisses Mitgefühl aus, nicht aber die Bereitschaft, sie passieren zu lassen. »Signorina, ich kann Ihnen nur raten zu gehen, bevor ich andere Maßnahmen ergreifen muss.« Damit war für den Mann die Sache erledigt.
Graziella blieb noch einige Augenblicke vor dem Tor stehen und blickte durch das Gitter in den Park der päpstlichen Sommerresidenz hinein, die ihr so verschlossen war, als würde statt eines Schweizer Gardisten ein Engel mit Flammenschwert davor stehen. Da ihr Onkel nicht viel von modernen Errungenschaften wie Handys und dergleichen hielt, konnte
sie ihn nicht anrufen. Sie wollte aber versuchen, ihn über die päpstliche Verwaltung zu erreichen. Doch als sie ihr Handy aus der Tasche zog, gab dieses bereits beim Eintippen der ersten Ziffern den Geist auf. Wieder einmal hatte Graziella
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