Tallinn-Verschwörung
sie sich jung gefühlt. So würde es nie wieder sein. Selbst wenn sie sich einen neuen Liebhaber suchte oder gar einen Ehemann, würde sie immer an den bulligen Burschen denken müssen, dem im Bett keiner das Wasser hatte reichen können.
Allmählich erwachte Nina aus ihrer Erstarrung und sah sich in der Wohnung um. Beinahe jeder Gegenstand erinnerte sie an Florian. Einige Sachen stammten sogar von ihm. Mit einem Mal begriff sie, dass Florians Schicksal stärker mit dem ihren verbunden war, als sie zunächst gedacht hatte. Auch wenn sie stets vorsichtig gewesen waren, hatte ihn gewiss jemand in das Haus und vielleicht sogar in diese Wohnung kommen sehen. Ein Wort darüber zur Polizei, und sie würde mit in den Sumpf gezogen, der Florian verschlungen hatte. Bislang hatte sie immer streng auf ihren Ruf geachtet, und der Gedanke, ihr Bild könnte als das der Geliebten eines rechtsradikalen Mörders durch die Medien wandern, bereitete ihr Übelkeit.
Trotz ihres Entsetzens und ihrer Trauer begann sie kühl ihre weiteren Schritte zu planen. Als Erstes musste sie alles, was auf eine Verbindung zu Florian Kobner hindeutete, aus ihrer Wohnung entfernen. Sie sonderte seine Geschenke aus, dann die Kleidungsstücke, die sie für ihn gekauft hatte, und schließlich warf sie auch die Bettbezüge, auf denen sie sich geliebt hatten, mit auf den Haufen. Sie machte mehrere Pakete daraus, trug diese einzeln in den Abfallkeller und teilte sie auf möglichst viele Müllbehälter auf. Wenn die Polizei rasch handelte, würde ihr das zwar nicht viel nutzen, aber sie hoffte, dass die Müllabfuhr früher kommen würde als die Polizei.
Bei dem Gedanken merkte sie, dass sie wenig Lust hatte, auf die Herren in Grün zu warten. Entschlossen nahm sie das Telefon zur Hand und orderte bei ihrem Reisebüro einen Flug in die Karibik. Keine Stunde später saß sie in einem Taxi, das sie zum Flughafen brachte, und ließ diesen Abschnitt ihres Lebens hinter sich.
Nina Parucker hätte sich keine Sorgen machen brauchen, denn es interessierte sich niemand für sie. Noch bevor ihr Flieger vom Boden abhob, explodierte im Münchner Westen eine Bombe und riss eine Villa in Stücke. Der Knall war so gewaltig, dass im weiten Umkreis die Fensterscheiben zersprangen. Als die Polizei endlich einige Kräfte freisetzen konnte, um die Angelegenheit zu untersuchen, wurde ersichtlich, dass an dieser Stelle der gleiche Sprengstoff verwendet worden war wie für die Sendlinger Moschee, mit deren Zerstörung alles begonnen hatte.
SECHZEHN
I n dem Apartment im neunten Stock des Hochhauses in Neuperlach saßen Torsten Renk und seine beiden Schützlinge ebenfalls vor dem Fernseher, über dessen Bildschirm gerade eine Ansprache der Bundeskanzlerin flimmerte. Sie trug dem Anlass entsprechend Schwarz und gab sich ernst und staatsmännisch. Auf Torsten wirkte sie jedoch ein wenig verwirrt, so als könne sie das, was geschehen war, nicht so recht glauben.
»… bedauern wir den Tod unserer Mitbürgerin Fadile Sözer und sprechen ihren Angehörigen unsere tiefste Anteilnahme aus. Unsere Gedanken gelten auch den vielen Verletzten in den Kliniken und hier vor allen jenen, die noch immer zwischen Leben und Tod schweben. Wir wünschen ihnen alles Gute und versprechen ihnen und allen Bürgern unseres Landes, dass wir die Verantwortlichen für diese feige Tat mit allen Mitteln zur Rechenschaft ziehen werden!«, beendete die Kanzlerin den ersten Teil ihrer Ansprache, um dann auf die Verwüstungen in München zu sprechen zu kommen.
»So verwerflich dieser Mord auch sein mag, so entschuldigt er nicht die Ausschreitungen, die danach über München hereingebrochen sind. Wir verwahren uns schärfstens gegen Kreise, die Gewalt als politisches Mittel ansehen und damit das Leben und das Eigentum unbeteiligter Bürger gefährden. München darf sich nicht wiederholen! Da die Polizeikräfte nicht in der Lage sind, solche bürgerkriegsähnliche Zustände zu verhindern, werde ich in einem ähnlichen Fall in Zukunft nicht zögern und die Bundeswehr einsetzen, um den inneren Frieden zu sichern.«
»Das ist Scheiße!«
Torstens Kommentar riss Jürgen herum. »Was ist los?«
»Die Soldaten der Bundeswehr besitzen keine Gummigeschosse und Reizgaswerfer. Wenn die eingreifen, schießen sie scharf. Was heute dabei herausgekommen wäre, kannst du dir selbst ausmalen.«
Jürgen hatte noch die Bilder vor Augen, die über den Bildschirm geflimmert waren, und zuckte zusammen. »Das hätte eine Menge
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