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Ohr zu hauen, um den Ort zu erfahren, von wo du die Schätze hattest.“
Talon grinste.
„Und wie ich euch angedroht habe, euch die Hoden abzubeißen, solltet ihr mir folgen …“
Joundes Miene verfinsterte sich augenblicklich.
„Es war eine gute Zeit, die letzten zwei Jahre.“
Er blickte Talon unverwandt an.
„Ich habe nie verstanden, wie schnell du die verschiedenen Dialekte hier gelernt hast. Selbst ich tue mich damit heute noch schwer. Sicher, dass du nicht von hier bist, kann keiner übersehen. Trotzdem – manchmal scheinst du mehr in diese Region zu passen als ich.“
Er strich sich über seinen Kinnbart und legte den Zeigefinger der rechten Hand an die Spitze der hakenförmigen, schmalen Nase.
„Deine Geschichte, Löwengeist …“, er verwendete diese Bezeichnung voller Absicht, „deine Geschichte. Ich würde sie eines Tages gerne ganz hören.“
Talon sah über die vordere Spitze des Bootes hinweg in das Dickicht des Dschungels. Die undurchdringliche Wildnis schien ihm selbst leichter zu durchschauen als seine eigene Vergangenheit.
Am späten Nachmittag des nächsten Tages verbreiterte sich der Fluss allmählich. Leichte Dunstschwaden lagen über dem Wasser und machten das Atmen schwer. Überall hing die Feuchtigkeit des Gewitters, das noch vor kurzem über die Flussebene gezogen war. Das hellbraune Wasser reflektierte mit jedem Wellengang das Sonnenlicht mit der Intensität von Tausenden kleiner Diamanten, deren Glitzern in den Augen der Männer im Boot schmerzte.
Der Verkehr nahm nun ständig zu. Ein ständiges Tuten und Rufen von Stimmen übertönte den Lärm zahlreicher Vogelschwärme, die auf der Suche nach etwas Essbarem den Abfall der Schiffe und Boote erwarteten.
Das schmale Boot schaukelte heftig im Fahrwasser der größeren Schiffe. Jounde sah sich nun aufmerksam um. Kisijani war nicht mehr als ein kleines Kaff am oberen Oubangui, doch die Lage machte es zu einem wichtigen Knotenpunkt für den Schiffverkehr auf dem Strom, der Afrikas Mitte mit Leben erfüllte.
Hinter den baufälligen Landestegen für Kutter lag das flach auslaufende Stück Ufer, das für Boote wie seines bestimmt war. Ihre Landung erregte unversehens eine Unruhe unter den Fischern und Händlern.
Zahlreiche Finger wiesen auf Talon. Missbilligende Blicke mischten sich mit amüsierten, während sich die Gespräche offensichtlich um ihn drehten. Jounde versuchte vergebens, die umstehenden Menschen abzuwimmeln, also griff er in eine Kiste und holte etwas hervor.
„Talon, wirf’ dir lieber diesen Umhang über. Auf einige der Menschen kann deine knappe Bekleidung – – unzüchtig wirken. Wir sind jetzt hier in der Stadt.“
Talon sah den Händler belustigt an, erkannte aber an dessen Blick, wie ernst ihm damit war. Er nahm den hellbraunen Umhang entgegen und warf ihn sich über die Schulter. Mehrere der Männer ließen noch immer abfällige Bemerkungen fallen. Doch die meisten schienen nun beruhigter zu sein und ließen die beiden Männer in Ruhe.
Sie zogen das Boot so weit wie möglich aus dem Wasser. Der Händler führte ein kurzes Gespräch mit einem der Männer, die untätig auf einer Mauer saßen und schob dann Talon auf den staubigen Weg in Richtung Stadt.
„Sag’ mir, wo ich die Bar finde“, wandte sich Talon unvermittelt an Jounde.
„Natürlich. Wir sind gerade auf dem Weg da hin. Gleich da vorne, die ‚Taverne Noir’!“ Der Händler wies auf eine Baracke am Ende des schmalen Pfades.
„Ich bring’ dich hin.“
Talon legte Jounde die linke Hand auf dessen Unterarm.
„Nein, Jounde! Ich werde alleine gehen.“
„Aber … –“ begehrte der Händler auf.
„Dich kennen sie. Und ich brauche dich als Verstärkung, falls es ernster werden sollte.“
„Du fällst hier auf, wie ... wie ein Weißer in Afrika!“ Jounde fiel kein besserer Vergleich ein.
„Richtig“, stimmte Talon ihm zu. „Und genau das ist mein Vorteil. Sie werden nicht wissen, wie sie auf mich reagieren sollen.“
Der Händler wollte noch einmal aufbegehren, musste aber feststellen, dass er Talons Vorhaben nicht umstoßen konnte. So verständigten sie sich darauf, dass Jounde am Hafen auf alles Ungewöhnliche achten solle. Talon war froh, dass sich der Händler so einfach beruhigen ließ. Sein Partner war es gewesen, der vorgestern gestorben war. Und Talon konnte nur zu gut nachvollziehen, was in dem älteren Mann vorging.
Er folgte der angegebenen Richtung die schmale Gasse entlang. Hier im Hafenbereich war kaum
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