Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
an?«, fragte Tobin.
Iya blickte ihn an und zurück. Lhel war verschwunden.
»Nichts. Nur einen Schatten«, erwiderte Iya abwesend. Obwohl sie die Hexe unmittelbar angesehen hatte, war sie nicht in der Lage gewesen zu erspüren, was für eine Art von Magie sie verwendet hatte. »Gib mir die Hand, mein Prinz, und versprich mir zu versuchen, Arkoniels Freund zu sein. Wenn du es nicht tust, wird er sehr traurig sein.«
»Ich will es versuchen«, murmelte Tobin. Dann löste er die Hand von der ihren und stapfte davon, nicht jedoch, bevor sie den viel sagenden Blick in seinen Augen erkannte. Er selbst mochte Lhel nicht gesehen haben, aber er wusste, dass Iya gelogen hatte.
Die Zauberin beobachtete ihn, bis er außer Sicht geriet, dann vergrub sie das Gesicht in der heilen Hand. Die Hexe hatte sie überrascht und so zu einem schweren Fehltritt verleitet, vermutlich sogar absichtlich.
Ob es ihr gefiel oder nicht, sie hatte Lhel vor all den Jahren falsch eingeschätzt, und nun waren ihre Schicksale zu eng miteinander verwoben, um unbesonnen zu handeln.
Jene tödliche Kälte spülte wieder über sie hinweg. Bruder kauerte zu ihren Füßen und starrte sie mit hämischen, hasserfüllten Augen an.
Du wirst nicht eindringen, flüsterte er erneut.
»Wo eindringen?«, verlangte sie zu erfahren.
Doch Bruder wahrte sein Geheimnis und nahm es mit sich, als er sich in Luft auflöste.
Iya blieb noch eine Weile sitzen und grübelte über die unheilvollen Worte des Geistes nach.
Nachdem Tobin mit dem Zauberer gegangen war, bahnte sich Ki den Weg hinunter in die Halle. Er konnte immer noch nicht glauben, dass dieser prunkvolle Ort sein Zuhause sein sollte. Auch wenn er verwunschen sein mochte, unter königlicher Verwandtschaft und Zauberern zu leben, schien das Wagnis bei Tageslicht durchaus wert.
Doch so jung er sein mochte, er hatte genug von der Welt gesehen, um zu wissen, wie seltsam dieser Haushalt war. Ein Prinz gehörte in die hehren Paläste, auf die Ki über die Palatinmauern in Ero hinweg flüchtige Blicke erhascht hatte, nicht in eine abgeschiedene Feste wie diese. Andererseits war Prinz Tobin selbst verflucht seltsam. Ein verschlossenes, zierliches Wesen mit Augen wie die eines alten Mannes. Als Ki ihn zum ersten Mal gesehen hatte, war er sogar ein wenig verängstigt gewesen. Aber nachdem sie schließlich miteinander gelacht hatten, erkannte Ki etwas anderes. Eigenartig mochte Tobin wohl sein, allerdings nicht so, wie die Leute behaupteten. Abermals musste er daran denken, wie der jüngere Tobin der Raserei des Dämons getrotzt hatte, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, und sein Herz schwoll an vor Stolz. Was würde so jemandem ein lebendiger Feind bedeuten?
Er ging weiter und begegnete Hauptmann Tharin, der die Halle durch eine andere Tür hinter dem hohen Tisch betrat. Der hagere, blonde Mann trug ein raues Hemd samt Überrock wie ein gewöhnlicher Soldat und schlief hier in den Truppenunterkünften der Männer, obwohl Ki von Iya wusste, dass er der Sohn eines wohlhabenden Ritters in Atyion war. Auch bei ihm hatte er ein gutes Gefühl, und das bereits seit dem ersten Anblick am vergangenen Abend.
»Guten Morgen, Junge. Suchst du nach Frühstück? Dann komm mit, die Küche ist dort drüben.«
Tharin führte ihn durch eine weitere Tür in eine große, warme Küche, wo die Köchin gerade über einem Kessel beschäftigt war.
»Wie gefällt es dir hier bisher?«, erkundigte sich Tharin und ließ sich am Herd nieder, um eine Schnalle an seiner Scheide zu richten.
»Sehr gut, Herr. Ich hoffe, ich werde dem Prinzen und Herzog Rhius genehm sein.«
»Daran hege ich keine Zweifel. Sonst hätte dich Frau Iya nicht ausgewählt.«
Köchin brachte ihnen etwas Brühe und altes Brot. Ki setzte sich auf eine Bank und beobachtete, wie Tharin mit seiner Ahle und gewachstem Garn arbeitete. Der Hauptmann besaß die gepflegten Hände eines Adeligen, in denen jedoch das Geschick eines Handwerkers steckte.
»Wird der Herzog bald hierher kommen?«
»Das ist schwer zu sagen. Der König sorgt dieser Tage dafür, dass er in der Stadt beschäftigt ist.« Er wurde mit der Schnalle fertig und legte sein Werkzeug beiseite.
Ki tunkte sein Brot in die Brühe und biss davon ab. »Weshalb seid Ihr nicht bei ihm?«
Tharin musterte ihn mit hochgezogener Augenbraue, wirkte aber eher belustigt als verärgert. »Herzog Rhius hat mir Tobins Waffenausbildung anvertraut. Bis wir wieder zum Kampf aufbrechen müssen, habe ich die Ehre, ihm
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