Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
Schnabelmasken auf, um ihn zu verjagen.
Menschen aller Klassen trugen Blumensträuße und Pomander aus reinigenden Kräutern, die angeblich die fauligen Körpersäfte fernhielten, von denen die Pest verursacht wurde. In diesen Zeiten wusste man nie, wann der wahre Rote und Schwarze Tod die Bühne für eine Zugabe betrat.
Ein weiterer merklicher Unterschied war das spärliche Auftreten von Zauberern auf den Straßen. In den alten Tagen hatten Beschwörer und Weissager ihre Dienste auf jedem Markt feilgeboten. Zauberer mit adeligen Schirmherren hatten selbst wie Fürsten gelebt. Nun sah sie fast nur die vereinzelten Spürhunde in ihren weißen Roben, begleitet von Patrouillen grau uniformierter Wachen. Iya wandte sich stets rasch ab, wenn sie die Gruppen herannahen sah, aber sie beobachtete die Gesichter jener um sie herum.
Viele Menschen schenkten ihnen wenig Beachtung, manche jedoch starrten sie mit kaum verhohlener Angst oder Wut an. Graurücken nannten die Kühnsten sie, wenn sie sich außer Hörweite befanden. Graurücken war die verbreitete Bezeichnung für › Laus ‹ .
Iya befand sich gerade am Stand einiger Aurënfaie-Goldschmiede, als eine solche Patrouille vorübermarschierte. Die Züge der Goldschmiede blieben unter den verschlungenen, tätowierten Mustern des Khatme-Klans unergründlich, doch ihre grauen Augen oder der unausgesprochene Fluch, als die älteste Frau hinter dem Rücken der Spürhunde über die linke Schulter spuckte, zeugten unzweifelhaft von ihrer Entrüstung.
»Ihr haltet wohl nicht viel von ihnen«, meinte Iya leise in der Sprache der Aurënfaie.
»Zauberermörder! Sie spucken dem Lichtträger ins Gesicht!« Die Aurënfaie frönten einem Eingottglauben und beteten nur Illior an, den sie Aura nannten. »In Plenimar ist derlei zu erwarten, aber nicht hier! Kein Wunder, dass euer Land leidet.«
An jenem Abend sah sich Iya auf dem großen Marktplatz in der Nähe des Palatins eine Pantomimenaufführung an, als sie eine Berührung am Ärmel spürte. Als sie sich umdrehte, stand sie einem jungen Spürhund gegenüber, den ein Dutzend oder mehr Graurücken flankierte. Die roten Vögel auf ihren Kitteln schienen sie wie Geier zu umkreisen, als sie Iya umringten.
»Guten Tag, Frau Zauberin«, begrüßte der junge Spürhund sie. Er besaß ein rundliches, fröhliches Gesicht und unschuldige, blaue Augen, denen sie in jenem Augenblick misstraute, in dem sie in sie schaute. »Ich hatte noch nicht das Vergnügen Eurer Bekanntschaft.«
»So wenig wie ich die der Euren«, gab sie zurück. »Ich bin seit Jahren nicht mehr in der Stadt gewesen.«
»Ah, dann wusstet Ihr vermutlich nicht, dass alle Zauberer, die in die Hauptstadt eintreten, sich bei der Grauen Garde melden und ihre Symbole offen zeigen müssen?«
»Nein, junger Mann, das wusste ich nicht. Als ich zuletzt hier war, gab es kein solches Gesetz, und niemand hat sich die Mühe gemacht, mich darüber in Kenntnis zu setzen.« Iyas Herz hämmerte heftig in der Brust, aber sie beschwor die Würde ihrer Jahre herauf und hoffte, ihm damit Ehrfurcht einzuflößen. In Wahrheit jedoch hatte es sie zutiefst erschüttert, von einem so jungen Spürhund entdeckt worden zu sein. Sie hatte keine Magie verwendet, um sich zu tarnen, dennoch musste er eine bewusste Anstrengung unternommen haben, sie aufzuspüren. »Wenn Ihr so freundlich wärt, mir den Weg zu den zuständigen Stellen zu zeigen, werde ich dort vorstellig werden.«
»Im Namen des Königs, ich muss Euch auffordern, mich zu begleiten. Wo seid Ihr untergebracht?«
Iya spürte, wie sein Geist über den ihren strich und ihre Gedanken abtastete. Er musste sie für eine Zauberin niedrigen Ranges halten, weil er es so unverhohlen tat. Alter und Erfahrung boten zwar einen gewissen Schutz gegen derlei plumpe Versuche, dennoch vermutete sie, dass er eine ausgemachte Lüge erkennen würde.
»Ich bin in der Meerjungfrau in der Efeustraße abgestiegen«, antwortete sie.
Der Zauberer bedeutete ihr, ihm zu folgen. Einige der Soldaten lösten sich vom Rest der Truppe, vermutlich, um ihr Zimmer zu durchsuchen.
Iya war überzeugt davon, diesem Zauberer und seinen Männern mehr als ebenbürtig zu sein, doch sich zu widersetzen oder zu verschwinden, konnte nur als Herausforderung aufgefasst werden. Sie wagte nicht, Aufsehen zu erregen, umso weniger, da sie nun ihr Gesicht kannten.
Sie führten sie zu einem hohen Gebäude aus Stein und Holz unweit des Palatintors. Iya kannte den Ort. Das Haus war einst
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