Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
eine Herberge gewesen; nun diente es Soldaten und Zauberern als Unterkunft.
Im großen Saal ließ man sie vor einem weiteren Zauberer an einem Tisch Platz nehmen und die Hände auf zwei aus Ebenholz gefertigten, mit Silber und Eisen beschlagenen Platten legen. Sie konnte keine Zeichen daran erkennen, aber die Berührung der vereinigten Metalle brannte ihre Handgelenke, als sie damit in Berührung gerieten. Was der Zweck dieser Vorrichtung sein mochte, konnte sie nur mutmaßen.
Der Zauberer hinter dem Tisch hatte einen dicken Einband vor sich aufgeschlagen, irgendwo bei den mittleren Seiten.
»Euer Name?«
Iya nannte ihn.
Er blickte auf ihre Hand. »Wie ich sehe, habt Ihr Euch verletzt.«
»Ein Missgeschick mit einem Zauber«, erwiderte sie und schaute bekümmert drein.
Mit einem herablassenden, schmalen Lächeln wandte er sich wieder dem Einband zu, erkundigte sich nach ihrem Begehr in der Stadt und schrieb ihre Antworten Wort für Wort in das Buch. Daneben lag ein Korb mit Deckel, der an jene erinnerte, in denen reisende Gaukler ihre zahmen Schlangen und Frettchen beförderten.
»Ich bin nur hier, um ein paar alte Bekanntschaften aufzufrischen«, versicherte sie ihm. Die Worte enthielten keine Lüge, sollte jemand in der Nähe ein Wahrheitskenner sein. Vielleicht war dies auch der Zweck der Platten, dachte sie und drückte die Fingerspitzen auf das polierte Holz.
»Wie lange seit Ihr schon in der Stadt?«
»Seit vier Tagen.«
»Warum habt Ihr Euch bei der Ankunft nicht eintragen lassen?«
»Wie ich bereits dem jungen Mann sagte, der mich hierher gebracht hat, ich wusste nichts von einem solchen Gesetz.«
»Wann wart Ihr zuletzt in …«
In jenem Augenblick wurden sie vom Lärm eines Handgemenges draußen unterbrochen.
»Ich habe nichts Falsches gemacht!«, schrie ein Mann. »Ich trage das Symbol. Ich habe meine Gefolgstreue bekundet! Mit welchem Recht legt Ihr Hand an mich? Ich bin ein freier Zauberer der Orëska.«
Zwei Graurücken schleiften einen zerzausten jungen Zauberer herein. Ihnen folgte ein älterer Mann in weiß. Die Hände des Gefangenen waren mit glänzenden Silberbändern gefesselt, und aus einer Platzwunde über dem rechten Auge strömte ihm Blut über das Gesicht. Als er sich das lange, schwarze, schmutzige Haar aus den Augen schüttelte, erkannte ihn Iya als einen eitlen, aber mittelmäßigen Schüler eines von Agazhars Freunden. Soweit sie sich erinnern konnte, war er nichts Besonderes gewesen, aber er trug immer noch das Silberamulett.
»Dieser Bursche hat einen Spürhund des Königs angespuckt«, erklärte der weiß gewandete Zauberer jenem hinter dem dicken Einband.
»Eure Zahl, junger Mann?«, erkundigte sich der die Aufzeichnungen führende Magier.
»Ich pfeife auf Eure Zahlen!«, knurrte der Gefangene. »Mein Name ist Salnar, Salnar von Feldruh.«
»Ah, ja. Ich erinnere mich an Euch.« Der Zauberer blätterte in dem Buch zurück und trug sorgfältig etwas darin ein. Als er fertig war, bedeutete er den Wachen, den Gefangenen nach oben zu bringen. Salnar musste wissen, was dies bedeutete, denn er begann zu brüllen und sich zu wehren, als die Soldaten ihn durch eine Innentür zerrten. Seine Schreie setzten sich laut fort, bis sie durch das Zuschlagen einer schweren Tür irgendwo im oberen Stockwerk jäh abgeschnitten wurden.
Der buchführende Zauberer wandte sich ungerührt wieder Iya zu. »Also, wo waren wir?« Er blickte auf seine Anmerkungen hinab. »Ah, ja. Wann habt Ihr die Stadt zuletzt besucht?«
Iyas Finger zuckten gegen das dunkle Holz. »Ich – mir fällt das genaue Datum nicht ein. Es war um die Zeit, als der Neffe des Königs geboren wurde. Damals habe ich Herzog Rhius und seine Familie besucht.« Damit wagte sie sich in gefährliche Gefilde vor, doch hatte sie eine andere Wahl?
»Herzog Rhius?« Der Name erzielte eine bessere Wirkung, als sie gehofft hatte. »Ihr seid eine Freundin des Herzogs?«
»Ja, er ist einer meiner Schirmherren, wenngleich ich ihn eine ganze Weile nicht mehr gesehen habe. Ich reise und lerne.«
Der Zauberer schrieb diese Auskunft neben ihren Namen. »Warum tragt Ihr nicht das Symbol Eures Handwerks?«
Dem war schwieriger auszuweichen. »Ich wollte keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen«, erwiderte sie und ließ die leichte Zittrigkeit einer alten Frau in ihre Stimme einfließen. »Die Hinrichtungen haben die Menschen argwöhnisch gegen unseresgleichen gemacht.«
Die Antwort schien ihren Verhörer zufrieden zu stellen. »Es gab
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