Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
tatsächlich einige Empörung, wie Ihr richtig sagt.« Er griff in den Korb neben sich und holte eine grob geformte Kupferbrosche daraus hervor, besetzt mit dem silbernen Halbmond Illiors. Der Zauberer drehte sie herum, las die darauf stehende Zahl und hielt sie in seinem Einband fest. »Ihr müsst dies ständig tragen«, wies er sie an und hielt ihr die Brosche hin.
Um sie entgegenzunehmen, löste Iya die Hände von den Platten und wurde nicht aufgefordert, sie zurückzulegen. Sie drehte das hässliche Ding herum – und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Unter dem braunen, aus einer Krone und einem Adler bestehenden Zeichen der Spürhunde war eine Zahl eingraviert.
222.
Die Zahl, die sie in ihrer Vision in Afra in Form von Ziffern aus Feuer gesehen hatte.
»Wenn Ihr Euch ein ansehnlicheres Stück anfertigen lassen möchtet, dann nur zu«, fuhr der Schriftführer fort. »Mittlerweile gibt es eine Reihe von Goldschmieden, die sich auf derlei Arbeiten spezialisiert haben. Aber achtet darauf, dass etwas von Euch in Auftrag Gegebenes mit derselben Zahl versehen und hierher geschickt wird, um das Zeichen des Königs zu erhalten, bevor es Euch zugestellt wird. Ist das klar?«
Iya nickte, während sie die Brosche vorne an ihrem Gewand befestigte.
»Ich verspreche, Euch wird dadurch kein Ungemach erwachsen«, sagte er. »Zeigt es den Torwächtern, wann immer Ihr eine Stadt verlasst oder betretet. Habt Ihr verstanden? Zauberer, die dies verweigern, werden einer weiteren Befragung unterzogen.«
Iya überlegte, was eine ›weitere Befragung‹ für jemanden wie den armen Salnar bedeuten mochte.
Es dauerte kurz, bis sie begriff, dass sie damit entlassen war. Sie konnte kaum ihre Beine fühlen, als sie aufstand und hinaus in das herbstliche Sonnenlicht schritt. Halb erwartete sie, dass jemand aufschreien, sie ergreifen und zurück zu den Schrecken schleifen würde, die sich hinter dem Zuschlagen einer Tür verbergen mochten – welche es auch sein mochten.
Kein einziges Mal während der Befragung hatte ihr jemand offen gedroht oder war auch nur unhöflich gewesen. Dennoch ließen die Nachwehen der Begegnung sie so erschüttert zurück, dass sie die erstbeste Schänke betrat, sich fast eine Stunde lang an den von der Tür entferntesten Tisch setzte, an scheußlichem, saurem Wein nippte und gleichzeitig gegen Tränen ankämpfte. Dann löste sie mit zittrigen Fingern die Brosche, legte sie vor sich auf den Tisch und begutachtete die Vorder- und die Rückseite.
Silber war Illiors Metall. Kupfer und all die anderen, sonnenfarbenen Metalle für Waffen und Rüstung gehörten zu Sakor. Diese beiden der Vier galten seit Langem als die Hauptschutzherren Skalas, doch seit den Tagen Ghërilains wurde Illior am höchsten verehrt. Nun wurde Iya gezwungen, das Symbol des Lichtträgers wie ein Verbrecherabzeichen zu tragen. Der wunderschöne Silberbogen schlug vor dem Hintergrund der Kupferscheibe unweigerlich in seinen Bann.
Der König wagt es, die freien Zauberer zu nummerieren, als wären wir Tiere seiner Herde, dachte sie, als ihre Furcht blanker Wut wich.
Und doch hatte sie die Zahl erhalten, die ihr von Illior vorbestimmt worden war.
Ein Schatten fiel über ihren Tisch, und erneuerte Angst zerstreute ihre Gedanken. In der Erwartung, Spürhunde vorzufinden, die sie mit ihren Silber- und Eisenfesseln umzingelten, schaute sie auf, doch es war nur der Schankwirt.
Er nahm ihr gegenüber Platz und reichte ihr einen kleinen Messingbecher. Dann deutete er auf die Brosche, bedachte sie mit einem süßsauren Lächeln und forderte sie auf: »Trinkt das, gute Frau. Ich vermute, Ihr könnt eine Stärkung vertragen.«
»Danke.« Erleichtert stürzte Iya die hochgeistige Flüssigkeit hinab und wischte sich mit immer noch leicht zitternden Fingern die Lippen ab. Der Schankwirt war ein großer, umgänglicher Bursche mit freundlichen braunen Augen. Nach der frostigen Höflichkeit der Spürhunde empfand Iya selbst die Herzlichkeit eines Fremden als willkommen. »Ich vermute, Ihr habt hier schon viele wie mich gesehen, zumal Ihr Euch so nah bei diesem – diesem Ort befindet.«
»Manchmal täglich. Hat Euch überrascht, nicht wahr?«
»Ja. Geht das schon lange so?«
»Es fing erst letzten Monat an. Wie ich höre, war es Niryns Vorschlag. Ich könnte mir denken, dass Euresgleichen nicht allzu viel von ihm hält.«
Mit einem Mal erschien etwas am Gebaren des Schankwirts falsch. Als Iya ihm erneut in die Augen sah, erblickte sie dieselbe
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