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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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Tobin, der in einem zerknitterten Nachthemd vorbeischlich. Vor der Tür des Zauberers zögerte der Junge kurz, als wollte er klopfen, dann wandte er sich ab und tapste weiter.
    Arkoniel ging zur Tür und öffnete sie mit dem Wissen einen Spalt, dass es in diesem Bereich der Feste nur einen Ort gab, an den sich Tobin begeben konnte.
    Mehrere Male hätte sich Arkoniel beinah Zugang zum Turm verschafft, weil er den Ort sehen wollte, den Ariani für sich beansprucht, den sie zum Sterben auserkoren hatte. Aber etwas – Ehre, Angst, vielleicht auch Respekt vor den Wünschen des Herzogs – hatte ihn davon abgehalten.
    Nun stand Tobin in der Nähe der Turmtür, die Arme trotz der schwülen Nacht um sich geschlungen, als fröre er. Arkoniel beobachtete, wie er einen zögerlichen Schritt vortrat und verharrte. Dann wiederholte er den Vorgang. Es war schmerzlich anzusehen, und noch schlimmer, dass sich Arkoniel dabei wie ein Spitzel fühlte.
    Nach einer kurzen Weile beugte er sich auf den Flur hinaus und flüsterte: »Tobin? Was machst du hier oben?«
    Mit weit aufgerissenen Augen wirbelte der Junge herum. Hätte Arkoniel nicht sein bisheriges Gebaren bezeugt, er hätte wohl vermutet, dass Tobin schlaf gewandelt war.
    Der Junge schlang die Arme fester um sich, als sich Arkoniel ihm näherte.
    »Brauchst du meine Hilfe?«
    Ein weiteres gequältes Zögern, ein Seitenblick – vielleicht zu Bruder? Dann seufzte er und richtete jene ernsten, blauen Augen auf Arkoniel. »Du bist doch Lhels Freund, oder?«
    »Natürlich bin ich das. Hat das hier etwas mit ihr zu tun?«
    Wieder derselbe Seitenblick. »Ich muss etwas holen.«
    »Aus dem Turm?«
    »Ja.«
    »Was immer es ist, Tobin, ich weiß, Lhel würde wollen, dass ich dir helfe. Was kann ich tun?«
    »Komm mit mir.«
    »Das hört sich ja recht einfach an. Hast du den Schlüssel oder soll ich die Tür mit meiner Magie öffnen?«
    Wie zur Antwort schwang die Turmtür für sie auf. Tobin zuckte zusammen und starrte auf den geöffneten Durchgang, als erwartete er, dort jemanden zu erblicken. Vielleicht tat er das auch. Arkoniel jedoch konnte nur ein paar abgetretene Steinstufen ausmachen, die in Dunkelheit emporführten.
    »Hast du Bruder gebeten, das zu tun?«
    »Nein.« Tobin rückte vor, und Arkoniel folgte ihm.
    Eine drückende Schwüle beherrschte die Sommernacht, aber kaum betraten sie den Turm, umfing sie eine feuchte Kälte, wie die Luft eines Grabes. Hoch über ihnen spähte der Mond durch schmale Schlitzfenster.
    Tobin fürchtete sich unverkennbar, dennoch ging er voraus. Auf halbem Wege nach oben vernahm Arkoniel ein ersticktes Schluchzen, doch als Tobin zu ihm zurückschaute, erwies sich dessen Antlitz als trocken. Ein weiteres Schluchzen sträubte dem Zauberer die Nackenhaare. Es war eine Frauenstimme!
    In der Spitze des Turmes befand sich eine kleine Kammer. Die Läden der Fenster ringsum waren fest verschlossen, deshalb beschwor Arkoniel einen winzigen Lichtpunkt herauf, dann entfuhr ihm ein Keuchen des Entsetzens.
    Der Ort glich einem heillosen Durcheinander. Die Einrichtung war in Stücke geschlagen worden und lag über den Raum verstreut. Schimmelnde Stoffballen und Wandbehänge bedeckten den Boden.
    »Hier hat Mutter ihre Puppen gemacht«, flüsterte Tobin.
    Arkoniel hatte von diesen späteren Puppen gehört; Jungen ohne Münder.
    Hier vernahm er das Geräusch des Weinens deutlicher, doch es ertönte immer noch gedämpft wie aus einer anderen Kammer. Falls Tobin es ebenfalls hörte, sagte er nichts. Als er jedoch zur gegenüberliegenden Ecke ging, fiel Arkoniel auf, dass er das Gesicht vom verhängnisvollen Westfenster abgewandt ließ.
    Was hatte das Kind an jenem letzten Tag bezeugt, an dem es sich die halbmondförmige Narbe am Kinn zugezogen hatte? Arkoniel schloss die Augen und murmelte einen Blutsuchbann.
    Der Zauber ließ ein paar verstreute Tropfen alten Blutes auf dem Boden in der Nähe des Westfensters grell wie Mondlicht auf Silber leuchten. Und er entdeckte eine weitere Spur, einen winzigen, stark verwitterten, halbmondförmigen Fleck am Rand des Steinsimses.
    An der Außenkante, jenseits der Läden.
    Tobin bahnte sich einen Weg über die Trümmer zur anderen Ecke und wühlte dort in einem kleinen Haufen Unrat.
    Plötzlich wurde das Schluchzen lauter, und Arkoniel vernahm das Rascheln schwerer Röcke, als schritte die Weinende durch die Kammer.
    Zwischen Furcht und Kummer hin- und hergerissen, kramte Arkoniel in seinem Gedächtnis nach Geisterzaubern, doch

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