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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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alles, was ihm einfiel, war ein Name.
    »Ariani.«
    Das genügte. Die Läden des Westfensters flogen auf, und dort stand sie, ein dunkler Umriss vor dem Mondlicht. Neben ihr befand sich Bruder, der selbst im Tode auf dieselbe Größe angewachsen war wie Tobin.
    Arkoniel trat einen Schritt auf sie zu und streckte die Hand aus, der Frau entgegen, der so übel mitzuspielen er geholfen hatte.
    Sie drehte sich ihm zu, wodurch das Licht über ihr Gesicht fiel. Schwarzes Blut bedeckte die linke Seite, doch ihre Augen wirkten klar und lebendig und hefteten sich mit einer entsetzlichen Verwirrung auf ihn, die ihn tiefer verstörte, als es ein Anzeichen von Zorn vermocht hätte.
    »Verzeiht mir, Herrin.« Ein Widerhall, vor einem Jahrzehnt verklungen.
    Er spürte Tobin neben sich, der mit zitternden Fingern seinen Arm umklammerte. »Siehst du sie?«, flüsterte er.
    »Ja. O ja.« Er streckte die linke Hand der mitleiderregenden Erscheinung entgegen. Sie legte den Kopf schief, als belustigte sie die Geste, und neigte sich ihm entgegen, als begönnen sie einen Tanz. Als sich ihre Hände berührten, spürte Arkoniel flüchtig etwas, das sich an den Kuss von Schnee erinnert, der von einem Ast geschüttelt wird. Dann war sie verschwunden, und Bruder mit ihr.
    Arkoniel führte die Hand unter die Nase und roch leicht ihr Duftwasser, vermengt mit Blut. Todeskälte um schlang ihn. Es war, als fasste jemand in seine Brust und zerquetschte sein Herz, auf dass es zu schlagen aufhörte. Eine andere Hand, hart und warm, suchte die seine und zerrte ihn aus dem Raum. Türen schlugen geräuschvoll hinter ihnen zu, als Tobin und er aus dem Turm flüchteten.
    In seinem Arbeitszimmer verriegelte Arkoniel die Tür und die Fensterläden, zündete eine kleine Lampe an, brach zitternd auf den Boden zusammen und vergrub das Gesicht in den Händen. »Beim Licht!«
    »Du hast sie gesehen, nicht wahr?«
    »O ja. Der Erschaffer vergebe mir, das habe ich.«
    »War sie wütend?«
    Arkoniel dachte an das zermalmende Gefühl zurück, das er in der Brust verspürt hatte. War das ihr Werk oder das von Bruder gewesen? »Sie hat traurig ausgesehen, Tobin. Und verloren.« Er schaute auf, und erst da bemerkte er, was Tobin aus dem Turm mitgenommen hatte. »Bist du dafür hinaufgegangen?«
    »Ja.« Tobin drückte sich einen alten Stoffsack an die Brust. »Ich – ich bin froh, dass du mich heute Nacht erwischt hast. Ich glaube nicht, dass ich es noch einmal alleine geschafft hätte, und ich könnte nie jemand anderen fragen, ob …«
    » Noch einmal? Du meinst, du hast das schon einmal gemacht? Ganz alleine?«
    »Als ich sie dort oben versteckt habe. In der Nacht, als Ki eintraf.«
    »Damals hast du deine Mutter gesehen, nicht wahr?«
    Tobin kniete sich neben ihn und begann, an der verknoteten Schnur zu zupfen, die den Sack verschloss. Er bibberte. »Ja. Sie hat die Hände nach mir ausgestreckt, als wollte sie mich wieder aus dem Fenster werfen.«
    Arkoniel wollte etwas erwidern, doch die Worte versagten ihm den Dienst.
    Tobin fingerte immer noch an dem Sack. »Jetzt kannst du sie auch gleich sehen. Sie hat meiner Mutter gehört. Mutter hat sie gemacht.« Endlich löste sich die Schnur, und er zog eine grob gearbeitete Musselinpuppe mit einem schlecht gezeichneten Gesicht aus dem Sack hervor. »Sie hat sie immer bei sich getragen.«
    »Dein Vater hat sie in seinen Briefen erwähnt.«
    Arkoniel dachte an die schönen Puppen zurück, die Ariani in Ero angefertigt hatte. All die hehren Damen von Ero wollten damals eine, auch viele der Fürsten. Das Ding, das Tobin so sorgsam umklammerte, glich bestenfalls einem grotesken Abklatsch davon, die Verkörperung ihrer verheerten Seele.
    Allerdings verdrängte diesen Gedanken rasch ein anderer, und zum zweiten Mal in jener Nacht richteten sich dem Zauberer die Nackenhaare und die Härchen an den Armen auf. Die Puppe trug eine Kette aus Haar um den Hals gewickelt; Haar so schwarz wie jenes Tobins. Oder wie das seiner Mutter.
    Das muss es sein, dachte er mit einem Anflug von Befriedigung. Das ist das Geheimnis.
    Von jenem ersten Tag in der Küche an hatte er ge wusst, dass die von Tobin gesprochenen Worte nicht genügen konnten, um Bruder zu beherrschen. Es musste noch etwas anderes geben, eine Art Talisman, die beide Geschwister miteinander verband. Etwas, das vielleicht von der Mutter an das Kind weitergegeben worden war.
    »Hat deine Mutter sie dir geschenkt?«
    Tobin starrte auf die Puppe hinab. »Lhel hat meiner Mutter

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