Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
denen Arkoniel ihn gewarnt hatte. Tobin hatte darauf geachtet, Bruder in der vergangenen Nacht wegzuschicken, dennoch sah er sich rasch noch einmal um, weil er sichergehen wollte, dass er ihnen nicht gefolgt war.
»Das ist der Zauberer des Königs, Fürst Niryn«, antwortete Orun, und Tobins Herz setzte einen Schlag aus. Dies war nicht irgendein Spürhund, dies war der Spürhund.
Tobin fürchtete schon, sie würden den ganzen Vormittag damit verbringen, zu warten, bis sie an die Reihe kämen, aber Orun führte sie geradewegs nach vorne und verneigte sich vor Hylus.
Tobin hatte gedacht, dass Großkanzler Hylus harte Züge besaß, weil er gerade einen Bäcker streng gemahnt hatte, der beschuldigt worden war, zu leichte Brotlaibe zu verkaufen. Doch sobald Orun ihm Tobin vorstellte, entspannte sich seine Miene in ein herzliches Lächeln. Er streckte die Hand aus, und Tobin erklomm die Stufen, um zu ihm zu gehen.
»Es ist, als sähe mich deine liebe Mutter durch deine Augen an!«, rief er aus und legte Hände auf jene Tobins, die sich anfühlten, als bestünden sie aus Knochen und dünnem Leder. »Und auch ihre Großmutter. Wahrhaft außergewöhnlich. Du musst demnächst mit mir essen, mein lieber Junge, dann erzähle ich dir Geschichten über sie. Hast du schon meinen Enkel Nikides unter den Gefährten kennen gelernt?«
»Gewiss, Herr.« Tobin vermeinte, sich an den Namen zu erinnern, konnte jedoch kein Gesicht damit in Verbindung bringen. Es waren vergangene Nacht so viele gewesen.
Der Kanzler wirkte erfreut. »Ich bin sicher, er wird dir ein guter Freund werden. Hat man dir bereits einen Knappen zugewiesen?«
Tobin stellte ihm Ki vor, der immer noch unten bei Orun stand. Einen Augenblick musterte ihn Hylus mit zusammengekniffenen Augen. »Sir Larenth? Ich kenne diesen Namen nicht. Na, jedenfalls ist das ein anständig aussehender junger Bursche. Herzlich willkommen ihr beide.« Kurz sah er Tobin noch an, dann drehte er sich dem Mann zu, der neben ihm stand. »Und nun gestatte mir, dir den Zauberer deines Onkels vorzustellen, Fürst Niryn.«
Erneut schlug Tobin das Herz heftig gegen die Rippen, als er Niryns Verneigung mit einem Nicken anerkannte. Allerdings war es eher Arkoniels Warnung, die sein Herz rasen ließ, denn etwas am Erscheinungsbild des Mannes, zumal Niryn wie völlig gewöhnlich wirkte. Der Zauberer erkundigte sich höflich nach seiner Reise und seinem Zuhause, sprach freundlich über seine Eltern und fragte schließlich: »Seht Ihr gerne Magie, mein Prinz?«
»Nein«, antwortete Tobin rasch. Arkoniel hatte sich nach Kräften bemüht, ihn für Kunststücke und Visionen zu begeistern. Ki liebte alles in der Richtung, aber Tobin fand den Großteil davon nach wie vor beunruhigend. Diesen Fremden wollte er erst gar nicht ermutigen.
Doch der Zauberer schien keineswegs beleidigt. »Ich erinnere mich an die Nacht Eurer Geburt, Prinz Tobin. Damals hattet Ihr diese Mal noch nicht am Kinn, dafür ein anderes, glaube ich.«
»Das ist eine Narbe. Ihr meint mein Weisheitsmal.«
»Ah, ja. Solche Male sind merkwürdig. Darf ich mir ansehen, wie es sich entwickelt hat? Ich arbeite an einer Untersuchung über solche Dinge.«
Tobin schob seinen Ärmel zurück und zeigte Niryn und Hylus das rote Mal. Nari bezeichnete es als Rosenknospe, für Tobin hingegen sah es eher wie ein Waldhuhnherz aus.
Niryn legte die Spitzen zweier Finger darauf. Seine Miene veränderte sich nicht, aber Tobin spürte ein unangenehmes Kribbeln auf der Haut und sah, wie sich die Jaspisaugen des Mannes einen Lidschlag lang verhärteten und fern schienen, genau wie jene Arkoniels, wenn er Magie wirkte. Allerdings hatte Arkoniel noch nie an ihm Magie gewirkt, ohne ihn zuvor um Erlaubnis zu fragen.
Entsetzt riss Tobin den Arm zurück. »Lasst das, Herr!«
Niryn verneigte sich. »Ich bitte um Entschuldigung, mein Prinz. Ich habe lediglich das Mal gelesen. Es deutet tatsächlich auf große Weisheit hin. Ihr könnt Euch glücklich wähnen.«
»Er hat doch gesagt, dass er keine Magie mag«, murmelte Hylus, der verärgert über den Zauberer schien. »Seine Mutter war in diesem Alter sehr ähnlich.«
»Verzeiht«, wiederholte Niryn. »Ich hoffe, Ihr werdet mir gestatten, es an einem anderen Tag wieder gutzumachen, Prinz Tobin.«
»Wie Ihr wünscht, Herr.« Ausnahmsweise war Tobin dankbar, als Orun hinter ihm auftauchte und ihn davonscheuchte. Als er sicher war, dass sie sich außer Sichtweite des Podiums befanden, schob er abermals den Ärmel
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