Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
Kneifen und einem finsteren Blick zum Schweigen. Sie löste ihre Schürze und wischte den verschütteten Wein auf. Er färbte das Leinen rot wie Blut.
Mynir entriss ihr das Tuch, knüllte es zusammen und steckte es unter den Arm, um den Fleck zu verbergen. »Beim Licht, lass das niemanden sehen!«, flüsterte er. »Das war ein Weißwein!«
Als Nari auf ihre Hände hinabblickte, stellte sie fest, dass auch sie dort rot befleckt waren, wo der Wein sie benetzt hatte, obschon die Tropfen, die noch am inneren Rand des Kelchs hingen, blass golden schimmerten.
Die Zeit reichte gerade noch, um das zitternde Mädchen um einen frischen Kelch loszuschicken, ehe sich die Adeligen für ihre Trinksprüche einfanden. Tobin wurde unruhig. Nari hielt ihn, während der Herzog den Kelch erhob und als traditionelle Opfergabe an die Vier ein paar Tropfen Wein über das Kind sprenkelte, dann ein paar weitere über den Honigkuchen. »Für Sakor, auf dass er mein Kind zu einem großen und gerechten Krieger mit Feuer im Herzen heranwachsen lasse. Für Illior, auf dass er ihm Weisheit und wahre Träume beschere. Für Dalna, auf dass sie ihn mit vielen Kindern und einem langen Leben segne. Für Astellus, auf dass er ihm sichere Reisen und einen raschen Tod gewähre.«
Nari tauschte einen flüchtigen Blick der Erleichterung mit dem Verwalter, als die Tropfen in den Kuchen einsanken und dessen klebrige Oberfläche unbefleckt zurückließen.
Sobald die kurze Zeremonie zu Ende war, zog sich Nari mit Tobin nach oben zurück. Der Säugling wand sich, grunzte und wanderte mit dem Mund suchend über das Oberteil ihres Kleids.
»Du bist ein kleiner Schatz, ja, das bist du«, murmelte Nari abwesend, immer noch erschüttert von dem, was sie bezeugt hatte. Sie dachte an die Zauberstöcke, die Iya bei ihr gelassen hatte, und fragte sich, ob sie einen davon verwenden sollte, um die Zauberin zurückzurufen. Aber Iya hatte sich überaus deutlich ausgedrückt; Nari sollte die Stöcke nur in äußersten Notfällen einsetzen. Nari seufzte, drückte Tobin fester an sich und grübelte darüber nach, wohin solche Omen führen würden.
Als sie im oberen Gang an Arianis Tür vorbeiging, bemerkte sie einen kleinen, roten Fleck an der Wand, unmittelbar über den Binsenläufern, die den Boden bedeckten. Sie bückte sich, um den Fleck genauer zu betrachten, dann schlug sie sich die Hand über den Mund.
Es war der blutige Abdruck der Hand eines Säuglings, gespreizt wie ein Seestern. Das Blut war noch hell und nass.
»Der Erschaff er bewahre uns, er ist im Haus!«
Unten brachen Jubel und Beifall aus. Sie hörte, wie der König einen Segen auf Tobins Gesundheit aussprach. Mit zitternden Fingern wischte Nari mit dem Saum ihres Rockes über das Mal, bis der Handabdruck zu einem rosa Klecks verschmiert war. Dann schob sie die Binsen hoch, um den Klecks zu verdecken, und betrat Arianis Kammer. Ihr graute vor dem, was sie darin vorfinden mochte.
Die Prinzessin saß am Feuer und nähte besessener denn je vor sich hin. Zum ersten Mal seit der Geburt hatte sie das Nachtgewand gegen ein loses Kleid getauscht und sich ihre Ringe wieder angesteckt. Der Saum des Kleids war nass und schlammverschmiert. Arianis Haar hing ihr in feuchten Strähnen um das Gesicht. Das Fenster erwies sich wie immer als fest verschlossen, dennoch roch Nari Nachtluft an ihr, zudem einen Hauch von etwas anderem. Nari rümpfte die Nase, als sie versuchte, den rohen, unangenehmen Geruch einzuordnen.
»Ihr wart draußen, Hoheit?«
Ariani lächelte auf ihre Handarbeit hinab. »Nur kurz, Amme. Freust du dich nicht?«
»Doch, Herrin, aber Ihr hättet warten sollen, dann hätte ich Euch begleitet. Ihr seid noch nicht kräftig genug, um alleine hinauszugehen. Was würde der Herzog dazu sagen?«
Ariani nähte weiter und lächelte immer noch.
»Habt Ihr draußen … etwas Ungewöhnliches gesehen, Hoheit?«, wagte Nari schließlich zu fragen.
Die Prinzessin zog ein Wollbüschel aus einem Beutel und stopfte ihn in den Musselinarm, den sie gerade genäht hatte. »Ganz und gar nicht. Und jetzt hinfort mit dir! Und hol mir etwas zu essen. Ich bin am Verhungern!«
Nari misstraute Arianis plötzlicher Heiterkeit. Als sie ging, hörte sie, wie Ariani leise summte und erkannte die Weise als ein Wiegenlied.
Sie befand sich auf halbem Wege zur Küche, als es ihr endlich gelang, den Geruch einzuordnen. Sie blies erleichtert die Luft aus. Morgen würde sie den Bediensteten auftragen müssen, einen der Bluthunde
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