Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
hereinzuholen, um den Mauskadaver aufzuspüren, der sich irgendwo entlang des oberen Ganges verbergen musste.
K APITEL 5
Arkoniel verließ Ero, ohne zu wissen, wann er Ariani oder das Kind wiedersehen würde. Er traf sich mit Iya in einer Herberge in Sylara. Gemeinsam brachen sie zum nächsten, langen Abschnitt ihrer Mission auf.
Ungeachtet Arkoniels ausgeprägter Bedenken, entschied Iya, dass es am sichersten für alle wäre, wenn sie Abstand zu dem Kind wahrten. Als Arkoniel ihr von seiner seltsamen Unterhaltung mit Niryn berichtete, stärkte dies ihre Entschlossenheit nur. Nari und der Herzog konnten in Verbindung mit ihnen bleiben, indem sie Botschaften in verschiedene Herbergen sandten, die Iya bei ihren Reisen regelmäßig besuchte. Für Notfälle hatte sie Nari einige kleine Andenken hinterlassen, bemalte Stöcke, die einen einfachen Suchzauber freisetzten, wenn sie zerbrochen wurden. Ganz gleich, wie weit sich Iya entfernt befinden mochte, sie würde die Magie spüren und so rasch wie möglich zurückkehren.
»Aber was, wenn wir zu weit weg sind, um rechtzeitig einzutreffen?«, sorgte sich Arkoniel, der über die Lage alles andere als glücklich war. »Und wie können wir sie so zurücklassen? Letzten Endes ist alles schiefgegangen, Iya. Du hast den Dämon in den Augen des toten Kindes nicht gesehen. Was, wenn der Baum ihn nicht zu fesseln vermag?«
Doch Iya blieb unerbittlich. »Sie sind am sichersten, wenn wir in der Ferne weilen.«
Und so begannen sie ihre lange Wanderschaft, suchten jeden auf, in dem ein Funken Magie schlummerte, loteten aus, wer sich wem zu Gefolgstreue verpflichtet fühlte, lauschten Befürchtungen und gewährten – einigen auserwählten Wenigen – einen flüchtigen Einblick in Iyas Vision: einen neuen Bund der Orëska-Zauberer. Sie erwies sich als geduldig und vorsichtig bei der Wahl derer, die sie ansprach; die Verrückten, die Habgierigen und die dem König treu Ergebenen schied sie aus. Selbst jenen, die sie als vertrauenswürdig erachtete, offenbarte sie nicht ihr wahres Anliegen, sondern hinterließ ihnen lediglich ein kleines Andenken – einen von der Straße eingesammelten Kiesel – und das Versprechen, sie erneut aufzusuchen.
Im Verlauf der nächsten Jahre sollten Niryns Worte zurückkehren und sie heimsuchen, denn wie es schien, waren sie nicht die Einzigen, die den Gedanken an eine Einheit verbreiteten. Von anderen, denen sie unterwegs begegneten, erfuhren sie, dass der Zauberer des Königs am Hof eine eigene Gefolgschaft um sich scharte. Arkoniel fragte sich oft, welche Antwort jene Zauberer auf Niryns undurchsichtige Frage gegeben und wovon sie geträumt hatten.
Die Dürre, die Tobins Geburt vorausgegangen war, legte sich, doch bereits im nächsten Sommer folgte eine weitere. Je weiter sie nach Süden gelangten, desto häufiger sahen sie leere Kornspeicher und krankes Vieh. Seuchen zogen im Fahrwasser des Hungers durch das Land und streckten die Schwachen nieder wie ein Wolf, der eine Schafsherde riss. Am schlimmsten war ein von Händlern eingeschlepptes Fieber. Das erste Anzeichen bildete blutiger Schweiß, zumeist gefolgt von schwarzen Schwellungen unter den Achseln und im Schritt. Nur wenige, die beide Merkmale aufwiesen, überlebten. Der Rote und Schwarze Tod, als der das Fieber bekannt wurde, fiel über Nacht über ganze Dörfer her und ließ zu wenige am Leben, um die Toten zu verbrennen.
Eine Plage anderer Art suchte die Ostküste heim: Beutefahrer aus Plenimar. Ortschaften wurden geplündert und niedergebrannt, die alten Frauen getötet, die jüngeren und die Kinder als Sklaven auf die schwarzen Schiffe der Beutefahrer verschleppt. Die Männer, die das Gefecht überlebten, erwartete danach oft ein grausameres Los.
Ein solches Dorf betraten Iya und Arkoniel kurz nach einem Überfall. Sie fanden ein halbes Dutzend junger Männer vor, die an den Händen an die Seite eines Kuhstalls genagelt worden waren; alle waren ausgeweidet worden. Ein Junge lebte noch und bettelte mit einem Atemzug um Wasser, mit dem nächsten um den Tod. Iya erbarmte sich und gewährte ihm beides.
Während der Reise setzte Iya Arkoniels Ausbildung fort und freute sich darüber, wie seine Macht weiter gedieh. Er war der beste Schüler, den sie je gehabt hatte, zudem der neugierigste. Für Arkoniel galt es stets, Neues zu erschließen, neue Zauber zu meistern. Iya beherrschte etwas, das sie scherzhaft als ›Magie für unterwegs‹ bezeichnete – Banne, die sich mehr auf
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