Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
einen Zauberstab und Worte denn auf gewichtige Hilfsmittel und Werkzeuge verließen. Arkoniel zeigte eine natürliche Begabung dafür und begann bereits, eigene Banne zu erschaffen, eine ungewöhnliche Leistung für einen so jungen Zauberer. Getrieben von seiner Sorge um Rhius und Ariani probierte er endlos mit Suchzaubern herum und trachtete danach, deren begrenzte Macht auszuweiten, jedoch erfolglos.
Iya erklärte ihm wiederholt, dass selbst Orëska-Magie ihre Grenzen hatte, doch er ließ sich nicht beirren.
In den Häusern der wohlhabenderen, gesetzteren Zauberer, insbesondere jenen mit adeligen Schirmherren, beobachtete sie ihn oft dabei, wie er sich sehnsüchtig in deren gut ausgestatteten Arbeitszimmern herumtrieb und die eigenartigen Behelfe und Alchemistengefäße untersuchte, die er dort vorfand. Manchmal blieben sie lange genug zu Gast, damit er etwas von diesen Zauberern lernen konnte, und Iya freute sich darüber, dass er so bereitwillig ergänzte, was sie ihm beibringen konnte.
Iya, die von jeher gern auf Reisen gewesen war, gelang es bisweilen beinah, die Verantwortung zu vergessen, die über ihnen schwebte.
Beinah.
Durch das Leben auf der Straße erfuhren sie eine Menge Neuigkeiten, allerdings berührte sie der Großteil davon kaum. Als die ersten Gerüchte um die Spürhunde des Königs sie erreichten, tat Iya sie als Lügenmärchen ab. Was jedoch schwieriger wurde, als sie einem Priester Illiors begegneten, der behauptete, sie mit eigenen Augen gesehen zu haben.
»Der König hat sie eingesetzt«, berichtete er Iya und fingerte dabei unruhig an dem Amulett an seiner Brust herum, das so sehr jenen ähnelte, die Iya und Arkoniel trugen. »Die Spürhunde sind eine besondere Garde, zugleich Soldaten und Zauberer, und sie haben den Auftrag, Thronverräter aufzuspüren. In Ero haben sie einen Zauberer verbrannt, und im Kerker schmoren Illior-Priester.«
»Zauberer und Priester?«, spottete Arkoniel. »Seit den Totenbeschwörersäuberungen während des Großen Kriegs wurde kein skalanischer Zauberer mehr hingerichtet! Und Zauberer, die ihresgleichen hetzen?«
Iya hingegen zeigte sich erschüttert. »Vergiss nicht, mit wem wir es zu tun haben«, warnte sie ihn, als sie sich alleine in der Sicherheit ihrer gemieteten Kammer befanden. »Der Sohn der wahnsinnigen Agnalain hat bereits eigene Verwandte getötet, um seine Linie zu bewahren. Vielleicht steckt mehr von seiner Mutter in ihm, als wir befürchtet haben.«
»Niryn muss sie anführen«, meinte Arkoniel, der abermals daran denken musste, wie der Magier ihn in der Nacht von Tobins Geburt beobachtet hatte. Hatte er schon damals damit begonnen, seine Gefolgschaft auszuwählen? Und was hatte er in seinen Spürhunden gefunden, das er in Arkoniel nicht gesehen hatte?
T EIL Z WEI
Aus dem persönlichen Tagebuch von Königin Tam í r II., unlängst in den Palastarchiven entdeckt
(Anmerkung des Archivars: Abschnitt undatiert)
Mein Vater zog mit uns kurz nach meiner Geburt in jene einsame Feste in den Bergen. Er ließ verbreiten, meiner Mutter Gesundheit erfordere dies, doch ich bin überzeugt, zu dem Zeitpunkt wusste bereits ganz Ero, dass sie, genau wie ihre Mutter, wahnsinnig geworden war. Wenn ich heute überhaupt noch an sie denke, sehe ich vor mir einen fahlen Geist von einer Frau mit unruhigen Händen und den Augen einer Fremden – derselben Farbe wie die meinen.
Meines Vaters Ahnen errichteten die Feste in den Tagen, als noch Hügelbewohner über die Pässe drangen, um das Tiefland zu überfallen. Sie besaß dicke Steinmauern und schmale Fenster mit splitterigen, rot und weiß bemalten Läden – ich erinnere mich noch daran, dass ich mir damit die Zeit vertrieb, die abblätternden Farbflocken vor meinem Schlafzimmerfenster abzulösen, während ich dort stand und nach der Rückkehr meines Vaters Ausschau hielt.
Ein hoher, quadratischer Wachturm ragte hinten neben dem Fluss von der Feste auf. Früher glaubte ich immer, der Dämon weilte dort und beobachtete mich von den Fenstern aus, wenn Nari oder die Männer mich zum Spielen auf den Höfen oder auf der Weide unter den Truppenunterkünften hinausbrachten. Die meiste Zeit jedoch musste ich im Haus bleiben. Bereits als ich laufen lernte, kannte ich jeden staubigen, schattigen Raum der unteren Geschosse. Jenes bröcklige, alte Gemäuer stellte meine ersten sieben Jahre lang die gesamte Welt dar, die ich kannte – meine Amme und eine Handvoll Bediensteter blieben mir als meine
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