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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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Die Sicht ist beschränkt.« Arkoniel lächelte bei sich. Also steckte hinter dem ernsten Gesicht doch ein Kind. Zusammen schwebten sie hinab zum Hafen und umkreisten die dort vertäuten, rundbäuchigen Karacken und Barkassen.
    »Auf solchen Schiffen will ich segeln!«, rief Tobin aus. »Ich möchte alle drei Länder sehen, und die Aurënfaie auch.«
    »Vielleicht kannst du ja mit ihnen singen.«
    »Nein …«
    Die Vision verschwamm, als etwas den Jungen ablenkte. »Du musst die Gedanken bündeln«, erinnerte ihn Arkoniel. »Lass dich nicht von Sorgen zerstreuen. Sehr lange kann ich das nicht aufrechterhalten. Wohin möchtest du noch?«
    »Zum Haus meiner Mutter.«
    »Ah ja. Also zurück zum Palatin.« Er geleitete Tobin durch den Irrgarten ummauerter Häuser, der sich zwischen dem Alten und dem Neuen Palast erstreckte.
    »Das da ist Mamas Haus«, sagte Tobin. »Ich erkenne es an den goldenen Greifen entlang des Daches.«
    »Ja.« Rhius hatte seinen Sohn gut unterrichtet.
    Als sie sich dem Bauwerk näherten, verschwamm die Vision abermals, diesmal jedoch lag es nicht an dem Jungen. Arkoniel verspürte wachsendes Unbehagen, als die Form des Hauses und dessen Geländes deutlicher wurde. Er konnte die Höfe und Nebengebäude sowie den großen Hof erkennen, auf dem der hohe Kastanienbaum stand, der das Grab des toten Zwillings kennzeichnete. Als sie jedoch näher hinflogen, verwelkte der Baum vor seinen Augen. Knorrige, kahle Ästen reckten sich empor, um ihn wie klauenartige Finger zu packen, genau wie die Wurzeln, die Tobin in seiner Vision am Meer umklammert hatten.
    »Beim Licht!«, keuchte er und versuchte, die Vision zu beenden, bevor Tobin es sah. Stattdessen jedoch wurde sie für ihn beendet, als sie beide von einer kalten Bö erfasst wurden. Die Vision fiel in sich zusammen. Arkoniel blieb taumelnd und vorübergehend geblendet zurück.
    »Nein, nein!«, schrie Tobin.
    Arkoniel spürte, wie die Hand des Jungen aus der seinen gerissen wurde. Dann schlug ihm jemand mit brennender Wucht auf die Wange, und der Schmerz ließ den letzten Rest Magie verfliegen, seinen Geist aufklaren und seine Augen wieder sehen.
    Der gesamte Raum bebte. Die Schranktüren flogen auf und knallten anschließend wieder zu. Truhen ratterten gegen die Wände, Gegenstände segelten in alle Richtungen durch die Luft.
    Tobin kniete neben der Stadt und hielt mit beiden Händen das Dach des Palastes fest. »Hör auf!«, rief er. »Geh weg, Zauberer. Bitte ! Geh hinaus!«
    Arkoniel blieb, wo er war. »Tobin, ich …«
    Nari eilte herein und rannte zu dem Jungen. Tobin umklammerte sie und presste das Gesicht an ihre Schulter.
    »Was tust du denn da?«, rief sie aus und schleuderte Arkoniel einen anklagenden Blick zu.
    »Ich habe bloß …« Das Dach des Palastes wirbelte in die Luft, und er fing es mit der heilen Hand auf. »Wir haben uns die Stadt angesehen. Das hat eurem Dämon nicht gefallen.«
    Er konnte genug von Tobins Gesicht erkennen, um zu wissen, dass sich die Lippen des Jungen bewegten und rasche, stumme Worte am Stoff von Naris losem Kleid formten.
    In das Zimmer kehrte wieder Stille ein, aber es blieb eine beunruhigende Schwere zurück, die an die Ruhe vor einem Sturm erinnerte. Tobin löste sich von seiner Amme und flüchtete aus der Kammer.
    Nari sah sich in der Unordnung um und seufzte. »Siehst du jetzt, wie es für uns ist? Niemand vermag vorherzusehen, was er tun wird oder warum. Illior und Bilairy mögen uns vor zornigen Geistern beschützen!«
    Arkoniel nickte, doch er wusste genau, weshalb die Kreatur den Augenblick diesmal gewählt hatte. Er dachte zurück daran, wie er sich einst unter jenem Kastanienbaum über einen winzigen, leblosen Körper gebeugt und geweint hatte, als er außer Sicht versank. Seine Tränen waren damals in die harte Erde gesickert. Ja, der Dämon wusste, wie seine Tränen schmeckten.
     
    Danach wollte Tobin nichts mit ihm zu tun haben, also verbrachte Arkoniel den Rest des Tages damit, still und leise die Feste zu erkunden. Die Schmerzen in seinem Arm erforderten mehrere Schlucke von Köchins Aufguss, und die betäubende Wirkung des Tranks ließ ihn wie in einem Traum umherwandeln.
    Sein ursprünglicher Eindruck von dem Bauwerk wurde bei Tageslicht bestätigt; es erwies sich als nur teilweise bewohnbar. Das Obergeschoss stellte sich als völlig verwahrlost heraus. Einst wunderschöne Gemächer waren verfallen, von Ratten und Moder heimgesucht. Wassereintritt vom Dach oder Dachboden hatte die erlesenen

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