Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
allzu langer Zeit habe ich eine alte Frau kennen gelernt, die in den Kriegen sowohl Soldatin als auch Zauberin war. Sie kämpfte mit Königin Ghërilain, die den Krieg gewann, weil sie selbst eine so gute Kämpferin war. Du weißt doch von den Kriegerköniginnen Skalas, oder?«
»Ich habe sie oben in einer Truhe«, antwortete Tobin, nach wie vor in seine Schnitzerei versunken. Im Singsangtonfall sagte er auf: »Es gab den König Thelátimos, dem vom Orakel gesagt wurde, er solle seine Krone an seine Tochter übergeben, dann Ghërilain, die Begründerin, Tam í r, die Gemeuchelte, Agnalain, die nicht meine Großmama ist, Ghërilain, die Zweite, Iaair, die gegen den Drachen kämpfte, Klia, die den Löwen tötete, Klie, Markira, Oslie mit den sechs Fingern, Marnil, die sich so sehr eine Tochter wünschte, doch stattdessen vom Orakel einen neuen Gemahl bekam, und Agnalain, die meine Großmama ist. Und dann den König, meinen Onkel.«
»Ah, ich verstehe.« Arkoniel verstummte und versuchte, die gemurmelte Litanei nachzuvollziehen. Abgesehen von ein paar sonderbaren oder bemerkenswerten Tatsachen, verstand Tobin eindeutig herzlich wenig von dem, was er gerade aufgesagt hatte. »Du meinst Agnalain, die Erste, und Königin Tam í r, die ermordet wurde.«
Tobin zuckte mit den Schultern.
»Also, die Namen hast du richtig aufgezählt, aber …«
Nari räusperte sich laut und bedachte Arkoniel mit einem warnenden Blick. »Herzog Rhius kümmert sich um Tobins Bildung. Er wird dem Jungen derlei Dinge beibringen, wenn er es für richtig hält.«
Er braucht einen richtigen Lehrer , dachte Arkoniel, dann blinzelte er ob des Widerhalls, den der Gedanke in seinem Geist auslöste. Einen Lehrer, einen Freund, einen Gefährten. Einen Beschützer. »Wann bricht der Herzog auf?«, erkundigte er sich.
»Morgen beim ersten Tageslicht«, antwortete Sefus.
»Nun, dann werde ich ihm heute Abend meine Aufwartung machen. Werden er und die Männer in der Halle speisen?«
»Klar«, murmelte Tobin. Unter seinem Messer verwandelte sich eine Rübe in einen weiteren Drachen.
Arkoniel entschuldigte sich, eilte nach oben, um seine Gedanken zu ordnen, und hoffte, dass der Einfall, der ihn ereilt hatte, tatsächlich eine vom Lichtträger gesandte Eingebung darstellte.
Zumindest musste er unbedingt daran glauben, denn genau das würde er Rhius erklären.
Und Iya.
K APITEL 18
Beim Abendmahl fand sich Arkoniel zu Rhius’ Rechter wieder, wo er von Tharin und einigen der Männer bedient wurde. Das Essen war zwar gut gewürzt, aber erschreckend schlicht und karg, was die Besorgnis des Zauberers zusätzlich schürte. In Ero und Atyion hatte Rhius stets verschwenderisch bewirtet. Dort hatte es immer Farben und Musik gegeben, Festmahle mit zwanzig Gängen und hundert Gästen, die vor Juwelen glitzerten und vor Seide und Pelzen strotzten. Das Leben, das Tobin hier erfuhr, unterschied sich kaum von dem eines landbesitzlosen Ritters aus dem Hinterland.
Rhius selbst war streng gekleidet. Er trug eine kurze, dunkle Robe, betont durch etwas Fuchspelz und Gold. Sein einziger Schmuck bestand aus einem großen Trauerring. Tobin hätte man in seinem schlichten Kittel mit einem Dienstjungen verwechseln können. Arkoniel bezweifelte, dass der Junge mehr als zwei Kleidungssätze besaß, und dies waren wahrscheinlich seine besten Gewänder.
Während des Essens schenkte der Herzog Arkoniel wenig Beachtung und widmete sich stattdessen Tobin, indem er ihm Geschichten vom Hof und über die Kriege erzählte. Arkoniel lauschte stumm. Dabei drängte sich ihm der Eindruck auf, dass die Unterhaltung hohl und gezwungen wirkte. Tobin sah elend aus. Nari, die weit entfernt am Tisch saß, suchte den Blick des Zauberers und schüttelte wortlos den Kopf.
Nach der Mahlzeit begab sich Rhius zu einem großen Stuhl am offenen Kamin und starrte in das kleine Feuer darin. Arkoniel, der weder entlassen noch eingeladen worden war, ließ sich unbehaglich auf der Herdbank neben ihm nieder und wartete, lauschte dem Knistern der Flammen und suchte in Gedanken nach den richtigen Worten, um sein Anliegen vorzutragen.
»Herr?«, wagte Arkoniel schließlich einen Versuch.
Rhius schaute nicht auf. »Was willst du jetzt von mir, Zauberer?«
»Nur ein paar Worte unter vier Augen, wenn Ihr gestattet.«
Erst dachte er, der Herzog wolle sich weigern, aber Rhius stand auf und führte Arkoniel nach draußen auf einen Pfad zur Weide, dem sie hinab zum Flussufer folgten.
Es war ein kühler,
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