Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
Drachenblut. Mein Vater hat mir die Geschichte erzählt, und ich weiß, was Faie sind«, fiel Tobin ihm so knapp ins Wort, dass er sein Vater hätte sein können. »Einmal kamen welche hierher. Sie haben Musik gespielt. Hat dich ein Drache gelehrt?«
»Nein, eine Zauberin namens Iya ist meine Lehrmeisterin. Du wirst sie eines Tages kennen lernen.« Er ließ das Drachentrugbild verblassen. »Möchtest du etwas anderes sehen?«
Immer noch in Fluchthaltung, spähte Tobin über die Schulter auf den Flur hinaus, dann fragte er: »Was zum Beispiel?«
»Oh, eigentlich was du willst. Was möchtest du denn am liebsten sehen?«
Tobin überlegte. »Ich möchte die große Stadt sehen.«
»Du meinst Ero?«
»Ja. Ich möchte das Haus meiner Mutter in Ero sehen, wo ich geboren wurde.«
»Hmmm.« Arkoniel unterdrückte eine aufkeimende innere Unruhe. »Ja, das kann ich machen, aber dafür brauchen wir eine andere Art von Magie. Ich muss deine Hand halten. Lässt du mich das tun?«
Der Junge zögerte einen Augenblick, dann kehrte er langsam zu ihm zurück und streckte die Hand aus.
Arkoniel ergriff sie und bedachte ihn mit einem beruhigenden Lächeln. »Es ist ganz einfach, aber du wirst dich vielleicht etwas merkwürdig fühlen. Es wird sein, als hättest du einen Traum, während du wach bist. Schließ die Augen.«
Arkoniel spürte die Spannung in der zarten Hand des Jungen, aber Tobin tat, wie ihm geheißen.
»Gut, und jetzt stell dir vor, dass wir zwei große Vögel sind, die über den Wald fliegen. Was für ein Vogel möchtest du gerne sein?«
Tobin zog die Hand weg und wich einen Schritt zurück. »Ich will kein Vogel sein!«
Neuerliche Furcht, oder bloß Misstrauen? »Wir tun nur so, Tobin. Beim Spielen machst du das doch auch, oder?«
Das brachte ihm einen verständnislosen Blick ein.
»So tun, als ob etwas echt wäre. Sich Dinge vorstellen, die nicht wirklich da sind.« Ein weiterer Fehltritt. Tobin warf einen beunruhigten Blick zur Tür.
Arkoniel sah sich um, welches Spielzeug zur Verfügung stand. Bei jedem anderen Kind hätte er die kleinen Schiffe im Hafen der Stadt über den Boden segeln oder das staubige Holzpferd auf Rädern durch das Zimmer kreisen lassen, aber ein Gefühl warnte ihn davor. Stattdessen glitt er aus dem Bett und humpelte zu der Spielzeugstadt hinüber. Aus der Nähe betrachtet, bestand kein Zweifel daran, welchen Ort die Anordnung der Straßen und größeren Gebäude darstellte, obwohl recht unsanft damit umgegangen worden war. Ein Teil der Westmauer fehlte, und an einigen Stellen, von denen ein paar der Holzhäuser verschwunden waren, klafften Löcher. Die verbliebenen Bauwerke reichten von schlichten Holzklötzen bis hin zu liebevoll geschnitzten und bemalten Stücken, die man als die Herrschaftshäuser und Tempel des Palatinkreises erkennen konnte. Der Neue Palast war mit Säulenreihen aus Stöckchen entlang der Seiten und winzigen Goldemblemen der Vier entlang des Daches in erlesenen Einzelheiten gefertigt.
Kleine Stockmännchen lagen auf den Märkten und dem Dach des Holzklotzes verstreut, der als der Alte Palast diente. Arkoniel ergriff eine der Figuren.
»Dein Vater muss sehr hart gearbeitet haben, um all das zu machen. Wenn du damit spielt, stellst du dir dann nicht vor, einer dieser kleinen Burschen zu sein, die durch die Stadt wandern?« Er hielt das Stockmännchen am Kopf und marschierte damit über den Hauptmarkt. »Siehst du, jetzt bist du auf dem großen Marktplatz.« Er verstellte die Stimme und fistelte: »Was soll ich heute kaufen? Ich glaube, ich schaue mal, was für Süßigkeiten Großmama Sheda auf ihrem Stand anbietet. Und dann laufe ich die Pfeilmacherstraße hinunter, um zu sehen, ob es einen neuen Jagdbogen genau in meiner Größe gibt.«
»Nein, du machst das falsch.« Tobin kauerte sich neben ihn und ergriff eine andere Figur. »Du kannst nicht ich sein. Du musst du sein.«
»Aber ich kann doch so tun, als wäre ich du, oder?«
Tobin schüttelte eindringlich den Kopf. »Ich will aber nicht, dass jemand anders ich ist.«
»Na schön, ich bin ich, und du bist du. Also, wie wäre es, wenn du du bleibst, aber deine Gestalt änderst?« Arkoniel legte die Hand auf jene Tobins und verwandelte die Figur, die der Junge hielt, in einen kleinen Holzadler. »Das bist immer noch du, aber jetzt siehst du aus wie ein Adler. Dasselbe kannst du in Gedanken tun. Stell dir dich selbst einfach in einer anderen Gestalt vor. Das hat gar nichts mit Magie zu tun. Meine Brüder
Weitere Kostenlose Bücher