Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
Händen, meinem Herzen und meinen Augen, das werde ich.« Dies war die Erfüllung der Vision, die er in Afra erfahren hatte, und Rhius hatte sie selbst vorgeschlagen.
»Aber mit Verlaub, Herr«, fuhr er behutsam mit seinen Gedanken fort. »Ihr seid ein sehr wohlhabender Mann, dennoch wächst Euer Kind in einer Gruft auf. Könntet Ihr diesen Ort nicht in ein richtiges Heim für ihn gestalten? Außerdem werde ich eigene Gemächer zum Schlafen und Arbeiten brauchen. Die Räume im dritten Stockwerk könnten instand gesetzt werden. Und wir werden ein Zimmer für Tobins Unterricht brauchen …«
»Ja, schon gut!«, fiel Rhius ihm barsch ins Wort und warf die Arme hoch. »Tu, was du willst. Wirb Arbeiter an. Richte das Dach. Lass dir goldene Nachttöpfe gießen, wenn du möchtest, solange du nur mein Kind beschützt.« Einen Augenblick starrte er auf die Feste.
Aus den Fenstern der Truppenunterkunft schimmerte warmes Licht, und sie hörten um das Wachfeuer versammelte Männer singen. Die dahinter aufragende Festung wirkte – abgesehen von einem schmalen Lichtschein aus einem Fenster im zweiten Stockwerk – verwaist.
Rhius stieß ein gedehntes Seufzen aus. »Bei den Vieren, die Feste ist tatsächlich zu einer Gruft geworden, nicht wahr? Einst war dies ein schöner Bau mit Gärten und feinen Stallungen. Meine Ahnen haben hier im Herbst Jagden und Feste veranstaltet und Königinnen zu Gast gehabt. Ich … ich hatte immer gehofft, dass sich Ariani erholen und mir helfen würde, den Ort wieder herzurichten.«
»Eine künftige Königin nennt dies ihr Heim. Gestaltet es für sie schön. Schließlich ist Tobin ein Künstler, und bei Künstlern nährt das Auge die Seele.«
Rhius nickte. »Tu, was du willst, Arkoniel. Aber lass den Turm, wie er ist. Niemand soll dorthin gehen. Die Fensterläden sind vernagelt, und für die Türen gibt es keine Schlüssel.«
»Wir Ihr wünscht, Herr.«
Die Schwalben hatten sich zur Ruhe begeben, und kleine, braune Fledermäuse waren hervorgekommen, um Motten zu jagen. Glühwürmchen blitzten zwischen dem langen Gras auf und verwandelten die dunkle Weide in ein Spiegelbild des Sternenhimmels darüber.
»Ich denke, bald wird ein richtiger Krieg ausbrechen«, meinte Rhius. »Geplänkel und Säbelrasseln gibt es seit Jahren, aber Plenimar drängt mit jedem Jahr heftiger gegen unsere Grenzen.«
»Krieg?«, fragte Arkoniel, den der plötzliche Umschwung des Gesprächs überraschte. »Also glaubt Ihr nicht, dass Plenimar den Vertrag von Kouros achten wird?«
»Ich stand neben dem König, als Oberherr Cyranius sein Siegel darunter setzte. Ich habe sein Gesicht beobachtet. Nein, ich glaube nicht, dass er den Vertrag achten wird. Er will die Drei Länder wieder als ein Großreich haben, wie es unter den Priesterherrschern war. Aber diesmal wird er auf dem Thron sitzen, kein Priesterkönig. Er will die Ländereien Mycenas und die Zauberer von Skala.«
»Gut möglich.« Aurënen hatte den Handel mit Plenimar vor geraumer Zeit eingestellt; die notwendigen Ehen zwischen den Völkern, um die Blutlinien der Zauberer in Plenimar aufrechtzuerhalten, gab es nicht mehr. Bei seinen Reisen hatte Arkoniel Gerüchte über plenimarische Seeräuber gehört, die Aurënfaie-Schiffe angriffen und Gefangene für Zwangsvermehrungen wie bei Tieren verschleppten.
»Die vergangenen Jahre haben sie uns mit Scheinangriffen auf die Inseln und Überfällen an unseren Gestaden ausgelotet«, fuhr Rhius fort. »Ich hoffe nur, Tobin wird alt genug sein, wenn es soweit ist.«
»Wir müssen ihn auf jede mögliche Weise darauf vorbereiten.«
»So ist es. Gute Nacht, Arkoniel.« Rhius verneigte sich und trat den Weg zurück den Pfad hinauf an. Er sah immer noch gebückt und alt aus.
Der Zauberer verweilte noch am Fluss, lauschte den leisen Geräuschen der lauen Sommernacht und fragte sich, wie sich eine Schlacht anhören mochte. Er hatte das Haus seines Vaters verlassen, bevor er ein Schwert tragen konnte. Als er an Tobins verächtliche Haltung angesichts seiner Berufung zurückdachte, musste er lächeln.
Beim Weg zurück den Hügel hinauf fiel ihm abermals der Turm ins Auge, und er vermeinte zu sehen, wie sich einer der Fensterläden bewegte. Kurz spielte er mit dem Gedanken, einen Blick darauf zu werfen, doch Rhius’ Anordnung hielt ihn davon ab. Wahrscheinlich war es nur eine Fledermaus gewesen.
Tobin hatte die beiden Männer von seinem Fenster aus beobachtet. Er wusste, wer sie waren; Bruder hatte es ihm gesagt.
Der
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