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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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fiel. Die Läden des Turms waren fest verschlossen, dennoch war Tobin überzeugt davon, Geräusche hinter sich zu hören; Schritte und das leise Schleifen langer Röcke über Steinböden. Die Laute jagten ihm dieselbe Angst ein wie seine Visionen des Geistes seiner Mutter hinter der Turmtür.
    Arkoniel erzählte er nichts von den Geräuschen oder von dem Traum, den er in der Nacht zuvor gehabt hatte; diesen Fehler hatte er bereits mehrmals begangen, und alle, sogar Nari, hatten begonnen, ihn seltsam anzusehen, wenn das wahr wurde, wovon er erzählt hatte.
    In diesem Traum waren Bruder und er wieder nach draußen gegangen, aber diesmal hatte der Dämon ihn zur Senke der Weide geführt, wo sie stehen blieben und auf jemand warteten. In dem Traum begann Bruder zu weinen, so heftig, dass ihm Blut aus der Nase und dem Mund lief. Dann presste er eine Hand über sein Herz und die andere über jenes Tobins, und er beugte sich so dicht zu ihm, dass ihre Gesichter einander beinahe berührten.
    »Sie kommt«, flüsterte Bruder. Dann flog er wie ein Vogel durch die Luft zurück zum Turm und ließ Tobin alleine warten und die Straße beobachten.
    Er war ruckartig erwacht und hatte immer noch Bruders auf seine Brust drückende Hand gespürt. Wer kommt ?, dachte er, und weshalb ?
     
    Während Tobin nun im Sonnenschein saß, erzählte er Arkoniel nichts davon. Im Traum hatte er sich nicht gefürchtet, aber wenn er daran zurückdachte und den Geräuschen im Turm lauschte, überkam ihn ein eigenartiges Gefühl der Beklommenheit.
    Über ihm ertönte ein besonders lautes Pochen; Tobin warf verstohlen einen Blick auf den Zauberer, weil er dachte, zumindest das musste er gehört haben. Vielleicht zog Arkoniel es einfach vor, es nicht zu erwähnen.
    In ihren ersten gemeinsamen Tagen hatte Arkoniel ihm viele Fragen über seine Mutter gestellt. Den Turm oder was dort geschehen war, hatte der Zauberer dabei nie angeschnitten, aber Tobin konnte es ihm an den Augen ablesen, dass er es wollte.
    Tobin seufzte erleichtert auf, als Tharin unten auf dem Hof auftauchte. Vater und die anderen weilten noch in der Ferne, aber Tharin war nach Hause zurückgekehrt, um ihm als Waffenlehrer zu dienen.
    »Es ist Zeit für meine Übungen«, sagte er und sprang auf.
    Arkoniel musterte ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue. »Das sehe ich. Weißt du, Tobin, es gehört mehr dazu, ein Adeliger zu sein, als Waffen. Man muss auch die Welt verstehen und wie sie sich dreht …«
    »Ja, Meister Arkoniel. Darf ich jetzt gehen?«
    Ein vertrautes Seufzen. »Du darfst.«
     
    Arkoniel beobachtete, wie das Kind freudig über die Schindeln davoneilte. Er bezweifelte, dass Tobin auch nur die Hälfte des Unterrichts aufgepasst hatte. Etwas im Zusammenhang mit dem Turm hatte ihn abgelenkt; jedes Mal, wenn er dachte, dass Arkoniel nicht hinsah, hatte er sich umgedreht und hingestarrt.
    Der Zauberer erhob sich und betrachtete den Turm. Etwas an diesen verschlossenen Fensterläden jagte ihm stets einen Schauder über den Rücken. Sobald der Herzog zurückkehren würde, wollte Arkoniel seine Erlaubnis einholen, jene Kammer dort zu sehen. Wenn er dort stünde, die Luft einatmete, die Dinge berührte, die Ariani zurückgelassen hatte, könnte er vielleicht ein Gespür dafür erlangen, was sich an jenem Tag tatsächlich zugetragen hatte. Von Tobin würde er es jedenfalls nicht erfahren. Die wenigen Male, als Arkoniel versucht hatte, darüber zu sprechen, hatte das Kind eine ausdruckslose Miene aufgesetzt und war auf höchst beunruhigende Weise schlagartig verstummt.
    Arkoniel schenkte Naris haltlosem Gerede über Besessenheit oder ihrer Angst, Tobin könnte den Sturz seiner Mutter irgendwie herbeigeführt haben, keinen Glauben. Doch je länger Arkoniel an diesem Ort weilte, desto deutlicher wurde er der durchdringenden Gegenwart des toten Kindes gewahr. Er konnte dessen Kälte spüren. Und er hatte gehört, wie Tobin dem Dämon zuflüsterte, wie Nari es ihm erzählt hatte. Er fragte sich, welche Erwiderungen Tobin bekam.
    Was, wenn Tobin an jenem Tag gefallen wäre? Einen Lidschlag lang stellte er sich vor, dass ihn hinter jenen Läden mit ihrer abblätternden Farbe zwei Kinder anstarrten, im Tode vereint, wie sie es im Leben hätten sein sollen.
    »Ich werde hier noch wahnsinnig«, murmelte er und verstreute die Linsen für die Vögel.
    In der Hoffnung, seine düstere Stimmung abzuschütteln, begab er sich hinab zum Übungshof und sah dabei zu, wie Tharin mit Tobin arbeitete. Das

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