Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
war ein Mann, der verstand, wie man einem Jungen etwas beibrachte.
Beide grinsten, während sie sich mit ihren Holzklingen vor- und zurückbewegten. Ganz gleich, wie sehr Tharin den Jungen beanspruchte, Tobin trachtete stets danach, ihn zu erfreuen. Er huldigte dem großen Krieger mit einer Offenheit, die Arkoniel mit Neid erfüllte. Tobin hatte einen zerschundenen Lederkittel angelegt und sich das Haar mit einem Riemen zurückgebunden; er glich einer dunklen Kleinausgabe des hellhäutigeren Tharin.
Arkoniel hatte sich damit abgefunden, dass dieser Unterricht die Aufmerksamkeit des Jungen auf eine Weise fesselte, auf die es seinen lahmen Versuchen nicht gelang. Er hatte nie ein Lehrer werden wollen und vermutete, dass er sich dementsprechend schlecht dabei anstellte.
Einen Teil des Problems allerdings stellte Tobins Misstrauen dar. Arkoniel hatte es bereits an dem Tag gespürt, an dem er eingetroffen war, und seither hatten sich die Dinge kaum verbessert. Er war überzeugt davon, dass der Dämon etwas damit zu tun hatte. Die Kreatur erinnerte sich an die Ereignisse rund um ihre Geburt; hatte sie Tobin davon erzählt? Nari glaubte es nicht, aber Arkoniel war dennoch sicher, dass der Dämon Tobin von Anfang an irgendwie gegen ihn aufgebracht hatte.
Doch trotz all der Hemmnisse stellte er fest, dass er sich dem Kind zunehmend verbunden fühlte. Wenn Tobin wollte, war er klug und scharfsinnig, und außer Arkoniel gegenüber gebärdete er sich freundlich und wohlerzogen.
Unlängst jedoch hatte etwas Neues dem Zauberer zu denken gegeben und ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Unbehagen erfüllt. Der Junge hatte ein paar Anflüge von etwas gezeigt, das Vorahnung zu sein schien. Vor einer Woche hatte Tobin behauptet, dass ein Brief von seinem Vater eintreffen würde. Er hatte den ganzen Nachmittag am Tor gewartet, bis ein Reiter mit der Botschaft auftauchte, dass Herzog Rhius doch nicht rechtzeitig zu Tobins Namenstag nach Hause zurückkehren würde.
Noch seltsamer war eine Begebenheit vor einigen Nächten gewesen, als der Junge aufgewühlt Nari und Tharin geweckt und angefleht hatte, in den Wald zu gehen, um nach einem Fuchs mit gebrochenem Rückgrat zu suchen. Sie hatten versucht, ihm zu versichern, dass er lediglich geträumt hatte, aber er hatte sich so aufgeregt, dass Tharin schließlich eine Laterne ergriffen hatte und hinausgegangen war. Eine Stunde später war er mit einer toten Füchsin zurückgekehrt. Tharin schwor, dass er das Tier zu weit vom Haus entfernt gefunden hatte, als dass Tobin dessen Todesschreie hätte hören können. Als sie den Jungen fragten, wovon er davon gewusst hatte, murmelte er, dass der Dämon es ihm gesagt hätte. Mehr wollte er nicht preisgeben.
An diesem Morgen hatte er verstohlen gewirkt, und Arkoniel vermutete, dass er eine weitere Vision gehabt hatte, die etwas damit zu tun gehabt haben könnte, wie er sich unaufmerksam durch den abgebrochenen Mathematikunterricht gemüht hatte.
Für eine künftige Herrscherin wären Vorahnungen zweifellos ein Vorteil, aber was, wenn sie nur das erste Aufkeimen der Gaben einer Zauberin darstellten? Würden die Menschen eine Magierkönigin annehmen, die trotz all ihrer Macht unfähig wäre, eine Thronerbin zu gebären?
Arkoniel überließ Tobin und Tharin ihren Übungen, überquerte die Brücke und schlenderte die Straße hinab in den Wald.
Als die Feste hinter ihm außer Sicht geriet, spürte er, wie sich eine Laune besserte. Die frische Herbstluft reinigte ihn von der besudelten Umgebung, in der er den letzten Monat geweilt hatte, und plötzlich war er dankbar dafür, von jenem seltsamen Haus und dessen heimgesuchten Bewohnern weg zu sein. Keinerlei Instandsetzungsarbeiten und frische Farbe konnte die unterschwellige Fäulnis übertünchten.
»Dieses Kind immer noch lastet schwer auf deinem Herz«, sprach eine unverkennbare Stimme hinter ihm.
Arkoniel wirbelte herum, doch die Straße erwies sich als so verwaist wie zuvor. »Lhel? Ich weiß, dass du es bist! Was machst du hier?«
»Hast du Furcht, Zauberer?« Nun ertönte die höhnische Stimme von einer dicht wachsenden Gruppe gelbblättriger Pappeln zu seiner Rechten. Er konnte niemanden erkennen, der sich dort verbarg, doch plötzlich tauchte eine kleine braune Hand auf – nicht hinter den Bäumen hervor, sondern aus heiterem Himmel unmittelbar vor ihm. Der Zeigefinger krümmte sich, lockte ihn, dann verschwand er, als würde er durch einen unsichtbaren Fensterrahmen
Weitere Kostenlose Bücher