Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
angewiesen.
Tobin ahmte das Beispiel seines Vetters nach, begab sich hinter den Thron und stand stramm, die linke Hand auf dem Schwertgriff, die rechte über dem Herzen.
Über den Thron war wie während der Abwesenheit des Königs noch der Zeremonienumhang geschlungen, und die große, vor Edelsteinen strotzende Krone ruhte auf dem Sitz. Diese Krone war kein runder Reif, sondern kantig wie ein Haus mit kunstvollen Turmspitzen an jeder Ecke. Als Erius den Thron erreichte, hoben adelige Kammerdiener die rechteckige Krone ehrfürchtig hoch und trugen sie auf einem großen Samtkissen hinaus. Andere schlangen den Umhang über die Schultern des Königs und befestigten ihn mit juwelenbesetzten Broschen. Mit einem unangenehmen Gefühl sah Tobin, dass einer der Diener kein anderer war als Moriel, die Kröte. Nachdem Moriel, der einen roten Wappenrock trug, mit der Brosche fertig war, nahm er mit ernster Miene seinen Platz am Fuß der Treppe des Podiums ein. Die anderen Gefährten hatten gleich dahinter Stellung bezogen, und Ki warf Tobin einen verwirrten Blick zu. Moriel ließ in keiner Weise erkennen, dass er einen von ihnen gesehen hatte.
Erius drehte sich der Menge zu und erhob abermals das Schwert. »Beim Blut meiner Ahnen und beim Schwert Ghërilains erhebe ich Anspruch auf meinen Thron!«
Alle außer Korin und Tobin sanken mit den Fäusten an den Herzen auf die Knie. Aus Tobins Blickwinkel sah es aus, als hätte ein heftiger Wind ein Haferfeld geplättet. Er verspürte einen schmerzlichen kleinen Stich im Herzen; ganz gleich, was Arkoniel oder Lhel sagten, Erius verkörperte einen wahren König, einen Krieger.
Erius bestieg den Thron und legte sich das Schwert quer über die Knie.
»Das Schwert Ghërilains ist in die Stadt zurückgekehrt. Unser Beschützer ist zurück«, verkündete Hylus mit für einen so zerbrechlichen, greisen Mann überraschend lauter Stimme.
Diesmal toste der Jubel dermaßen, dass er in Tobins Brust Schwingungen verursachte. Er empfand dasselbe Hochgefühl wie beim Betreten Atyions. Das heißt es, ein König zu sein, dachte er.
Oder eine Königin.
K APITEL 22
Die Rückkehr des Königs bereitete dem unbeschwerten Inselleben der Gefährten in der Stadt ein Ende. Erius wollte Korin nahezu jeden Tag bei sich am Hof haben, und die Gefährten begleiteten ihn.
Oder zumindest die Hälfte davon. Das Alter hatte sie bereits zuvor geteilt, nun kamen Geblüt und Titel hinzu. Allmählich verstand Tobin den feinen Unterschied zwischen Knappen und Adeligen, wenngleich die Knappen selbst Söhne adeliger Familien waren. Nun jedoch zeichneten sich diese Unterscheidungen deutlicher ab, zumal die Knappen zum Unterricht im Alten Palast zurückblieben, wenn Korin und die anderen zum Hof gingen.
Tobin gefiel die neue Anordnung ganz und gar nicht, da sie verhieß, dass er von Ki getrennt wurde.
Eines Nachmittags lief er kurz nach der Rückkehr vom Hof auf der Suche nach seinem Freund durch den Flügel der Gefährten, als er in der Nähe eine Frau schluchzen hörte. Er bog um eine Ecke und sah, wie eine Dienstmagd mit der Schürze über dem Gesicht den Gang hinab davoneilte.
Verwirrt ging er weiter und hörte abermals ein Weinen, als er sich seiner eigenen Tür näherte. Im Zimmer kauerte der Page Baldus schluchzend auf einem der Lehnsessel. Ki stand über ihm und tätschelte ihm unbeholfen die Schulter.
»Was ist denn los?«, rief Tobin aus und eilte zu ihnen. »Ist er verletzt?«
»Ich bin selbst gerade erst eingetroffen. Alles, was ich bisher aus ihm herausbekommen habe, ist, dass jemand tot ist.«
Tobin kniete sich hin und zog die Hände des Jungen von dessen Gesicht. »Wer? Jemand aus deiner Familie?«
Baldus schüttelte den Kopf. »Kalar.«
Der Name sagte Tobin nichts. »Hier, nimm mein Taschentuch und putz dir die Nase. Wer war sie?«
Baldus holte stockend Luft. »Sie hat die Wäsche gebracht und die Binsen im Gang gewechselt …« Abermals brach er in Tränen aus.
»O ja«, rief Ki aus. »Die hübsche Blonde mit den blauen Augen, die immer vor sich hingesungen hat.«
Tobin wusste, wen er meinte. Er hatte ihre Lieder gemocht, und sie hatte ihn manchmal angelächelt. Allerdings hatte er nie daran gedacht, sie nach ihrem Namen zu fragen.
Mehr bekamen sie aus Baldus nicht heraus. Ki gab ihm etwas Wein, dann brachte er ihn in die nicht benutzte Knappennische, damit er sich auf dem Bett dort in den Schlaf weinen konnte. Molay betrat das Zimmer und kümmerte sich um seine Pflichten, wirkte
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