Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
hinein, während Moriel kauernd auf dem Boden zurückblieb. Tobin hätte den Jungen vielleicht bedauert, aber der giftige Blick, den Moriel hinter Korin hersandte, machte die Empfindung zunichte.
Aus der Vorkammer hörte er, wie Korin vor seinem Vater tobte, worauf das Gemurmel einer belustigten Erwiderung des Königs folgte. Als Tobin den Raum betrat, fand er Niryn bei ihnen vor, der unmittelbar hinter dem Stuhl des Königs stand. Der Zauberer schwieg, doch Tobin war überzeugt davon, in seinen Augen einen Ansatz von Moriels Grinsen zu erspähen.
Abgesehen von diesen Zwischenfällen verlief der Sommer eine Weile ereignislos. Es war der heißeste, solange man zurückdenken konnte, und das Land litt darunter. Bittsteller am Hof berichteten von Dürren und Flächenbränden, Maul- und Klauenseuche und ausgetrockneten Quellen.
Tobin stand jeden Tag neben dem Thron und lauschte aufmerksam und mitfühlend, wurde jedoch nicht wirklich davon berührt, da er mit seinen neuen Pflichten zu beschäftigt war.
Mittlerweile dienten die adeligen Gefährten oft so am Tisch des Königs wie die Knappen an dem ihren. Per Geburtsrecht fiel Tobin die Aufgabe des Streichers zu, der zu jedem Gang die verschiedenen Brote aufschnitt. Korin erwies sich als fachkundiger Aufschneider und schwang die Messer geschickt, während er die Fleischspeisen anrichtete. Die Pflichten der anderen Jungen ergaben sich nach ihrem Alter und ihren Familien. Der klotzige Zusthra wurde Mundschenk, und Orneus stellte sich ungeachtet aller Versuche seitens Luchs, ihn auszubilden, als Kelcher entsetzlich linkisch an. Als er das zweite Mal Wein auf den Ärmel des Königs verschüttete, wurde er kurzerhand zum Almosener herabgestuft, und Nikides übernahm die Verantwortung über des Königs Kelch.
Die nachmittäglichen Waffenübungen und der Unterricht beim greisen Raben setzten sich trotz der Hitze fort, die Vormittage jedoch wurden im Audienzsaal verbracht. Korin und Tobin saßen dabei neben dem König, Hylus und die anderen standen hinter ihnen, oft stundenlang. Erius begann, Korin bei kleineren Belangen um Rat zu fragen und ließ ihn über das Schicksal eines Müllers entscheiden, der überführt worden war, zu geringe Mengen abzufüllen, oder einer Schankwirtin, die verdorbenes Gebräu ausgeschenkt hatte. Der König gestattete ihm sogar, einige der unbedeutenderen Übeltäter zu verurteilen, und Tobin stellte überrascht fest, wie bereitwillig sein Vetter Auspeitschungen und Brandmarkungen als Strafen verhängte.
Mit Ausnahme von Nikides empfanden die anderen Jungen die Anwesenheit am Hof als eintönige Pflicht. Trotz der hohen, von Säulen gestützten Decke und den plätschernden Springbrunnen kam der Thronsaal gegen Mittag einem Backofen gleich. Dennoch fand Tobin die Hofgeschäfte fesselnd. Er hatte schon immer die Begabung besessen, in Gesichtern zu lesen, und hier präsentierte sich ihm eine endlose Vielfalt, die er mustern konnte. Bald war er beinah in der Lage, zu beobachten, wie sich Gedanken bildeten, wenn die Antragsteller schmeichelten, sich beschwerten oder eine Gunst zu erlangen versuchten. Der Tonfall einer Stimme, die Haltung eines Menschen oder wohin sein Blick wanderte, während er sprach – all das kam für Tobin Buchstaben auf Pergament gleich. Lügner zappelten. Ehrliche Menschen sprachen ruhig. Schurken jammerten und gebärdeten sich lauter als aufrichtiges Volk.
Am liebsten jedoch beobachtete er nicht die Menschen Skalas, sondern Gesandte aus fernen Landen. Tobin bestaunte dabei nicht nur die verschlungenen Feinheiten der Diplomatie, sondern auch die fremdartigen Gewänder und Akzente. Mycenier kamen am häufigsten und erwiesen sich als eigensinniger Menschenschlag, dem Ernten, Zölle und die Verteidigung am Herzen lag. Die Aurënfaie waren am vielschichtigsten; es gab Dutzende verschiedene Klans, und jeder hatte eigene, unverkennbare Kopftücher und Gepflogenheiten.
Eines Tages empfing der König ein halbes Dutzend Männer mit dunkler Haut und krausem, schwarzem Haar. Sie trugen lange, blau und schwarz gestreifte Gewänder, wie Tobin sie noch nie gesehen hatte, und von ihren Ohren baumelte schwerer Silberschmuck. Überrascht erfuhr er, dass es sich um Zengati handelte, Stammesvolk.
Arengil und Tobins Freunde unter den Kunsthandwerkern aus Aurënen sprachen stets voll Hass oder Verachtung über Zengat. Aber die Zengati, wie ihm Hylus später erklärte, waren ebenso stark in Klans zersplittert wie die Aurënfaie, und manchen
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