Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
vielleicht durch all die Kriege und Seuchen als letzter Erbe übrig bleiben würdest, um den Thron zu besteigen. Allerdings waren da noch andere Kleinigkeiten, über die ich mir sehr wohl den Kopf zerbrochen habe. Zum Beispiel, warum du und Ki deinen dämonischen Zwilling als ›Bruder‹ statt als ›Schwester‹ bezeichnen.«
»Das hast du gehört? Und du hast nie danach gefragt.«
»Ich habe Arkoniel mein Wort gegeben, darüber zu schweigen.«
»Aber Lhel hat dir von ihm erzählt?«
»Das brauchte sie nicht. Ich habe ihn gesehen.«
»Wo?«
»In Fürst Oruns Haus an dem Tag, als er starb.«
»Er hat Orun getötet«, platzte es aus Tobin heraus.
»Das dachte ich mir. Er kauerte noch über dem Leichnam, als ich die Tür eintrat. Zuerst hielt ich ihn für dich, bis sich das Ding zu mir umgedreht hat. Beim Licht, ich weiß nicht, wie du das all die Jahre ertragen konntest. Der eine flüchtige Blick, den ich auf ihn erhaschte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.«
»Aber du hast Iya nie erzählt, was er getan hat.«
»Ich dachte, das würdest du tun.«
»Was hat Lhel dir noch erzählt? Auch etwas über mich?«
»Dass du eines Tages Anspruch auf den Thron erheben müsstest. Und dass ich mich dafür bereithalten muss und nie an dir zweifeln darf.«
»Das ist alles?«
»Das ist alles, außer dass sie mich schon lange beobachtet und eine hohe Meinung von mir hat.« Er schüttelte den Kopf. »Ich wusste in dem Augenblick, als ich die Hexenmale in ihrem Gesicht sah, was sie war, trotzdem bin ich froh, dass sie gut über mich denkt.«
»Sie fand immer, dass Iya und Vater es dir hätten erzählen sollen. Arkoniel dachte das auch. Iya war dagegen. Ich weiß, dass Vater dich eingeweiht hätte, wenn sie nicht gewesen wäre.«
»Es spielt keine Rolle, Tobin. Auf seine Weise hat er es mir gesagt, als es am meisten zählte.«
»Es war zu deinem Schutz«, gestand Tobin, wenngleich er es der Zauberin dennoch übel nahm. »Iya sagt, dass Niryn Gedanken lesen kann. Ich musste lernen, die meinen zu verschleiern. Deshalb weiß auch Ki nicht Bescheid. Du wirst ihm doch nichts sagen, oder?«
Tharin reichte Tobin eine Scheibe des warmen Brots mit Käse. »Natürlich nicht. Aber ich könnte mir vorstellen, es muss hart für dich gewesen sein, all das die ganze Zeit für dich zu behalten. Erst recht vor Ki.«
»Du hast ja keine Ahnung, wie viele Male mir beinah etwas herausgerutscht wäre! Und jetzt …«
»Ja, und jetzt …« Tharin biss von seinem Brot ab und kaute bedächtig, bevor er fortfuhr. Schließlich seufzte er und sagte: »Ki weiß, was du für ihn empfindest, Tobin. Jeder kann es daran erkennen, wie du ihn ansiehst. Auf seine Weise liebt er dich auch, aber mehr kannst du von ihm nicht erwarten.«
Tobin spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. »Ich weiß. Ein halbes Dutzend Mädchen ist in ihn verliebt. Er ist gerade bei einem davon.«
»Er ist seines Vaters Sohn, Tobin, und ein Kater lässt nun mal das Mausen nicht.« Er bedachte Tobin mit einem süßsauren Blick. »Weißt du, es gibt durchaus auch Mädchen, die sich über einen freundlichen Blick von dir freuen würden.«
»Das ist mir egal!« Aber noch während er dies aussprach, flüsterte eine leise Stimme in seinem Hinterkopf: Wer?
»Nun, es könnte klug sein, zumindest darüber nachzudenken. Lhel meinte das auch. Ein Bursche in deinem Alter sollte ein wenig Neugier an Mädchen zeigen, erst recht ein Prinz, der die freie Auswahl hat.«
»Was sollte das irgendjemanden kümmern?«
»Ist einfach so. Und für Ki wäre es ebenfalls einfacher, wenn du glücklicher erschienst.«
»Hat Lhel dir das gesagt?«
»Nein, Ki.«
»Ki?« Tobin wünschte, der Stuhl würde ihn verschlingen.
»Er kann nicht empfinden, was du dir von ihm wünschst, und das tut ihm weh. Du weißt, er würde es tun, wenn er könnte.«
Darauf gab es nichts zu erwidern. »Mich haben doch schon immer alle für merkwürdig gehalten. Meinetwegen können sie das ruhig weiterhin tun.«
»Du hast auch gute Freunde, Tobin. Eines Tages wirst du feststellen, wie gut sie sind. Ich weiß, es ist schwierig für dich …«
»Du weißt es? Wie kannst du es wissen?« All die Jahre der Angst, der Geheimnisse und der Qualen stürzten auf ihn ein. »Woher kannst du wissen, wie es sich anfühlt, ständig lügen zu müssen und belogen zu werden, nicht einmal zu wissen, wie das eigene Gesicht in Wahrheit aussieht, bis man es von jemandem gezeigt bekommt? Und Ki? Mein Vater wusste zumindest, was du
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