Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
scharfe, weiße Klaue über der Stadt.
Aus den Palästen und Tempeln wurde Essen herbeigebracht, doch die Gefährten verspürten wenig Appetit. In ihre Mäntel gehüllt, um sich gegen die Kälte der Frühlingsnacht zu schützen, kauerten sie auf der Treppe, schärften ihre Schwerter und warteten auf Befehle.
Ki war so unaussprechlich müde, dass er es letztlich aufgab, sich mit dem Rücken an Tobin lehnte und den Kopf auf die Knie stützte. Caliel und die verbliebenen Gefährten kauerten bei ihnen, aber niemandem war danach zumute, sich zu unterhalten.
Wir wollten Krieg, jetzt haben wir ihn, dachte Ki verdrießlich.
Luchs hatte sich von ihnen entfernt und starrte in der Nähe in ein Feuer. Auch Nikides trauerte stumm um Ruan, doch Ki wusste, dass es nicht dasselbe war. Ein Knappe wurde dazu vereidigt, für seinen Herrn zu sterben. Darin zu versagen, war gleichbedeutend damit, in allem zu versagen. Dabei war es nicht Luchs' Schuld gewesen – an den Mauern hatte blanker Wahnsinn geherrscht.
Was für ein Trost wäre das für mich, hätte ich Tobin verloren?, dachte Ki verbittert. Was, wenn ihn dieser Pfeil in die Kehle statt an der Schulter getroffen hätte? Was, wenn Iya nicht im letzten Augenblick aufgetaucht wäre? Zumindest wären wir dann zusammen gestorben.
Ki beobachtete, wie sich Tharin aus der Dunkelheit löste, zu Luchs ging und eine Decke um die Schultern des jüngeren Mannes schlang. Dann sprach er leise mit ihm, zu leise, als dass Ki es hören konnte. Luchs zog die Knie an und verbarg das Gesicht in den Armen.
Ki schluckte schwer und rieb die Augen gegen das plötzliche Brennen hinter den Lidern. Tharin verstand besser als jeder andere, wie sich Luchs gerade fühlte.
»Was wird aus ihm werden?«, flüsterte Tobin, und Ki erkannte, dass auch er die beiden beobachtete. »Glaubst du, Korin lässt ihn bei den Gefährten bleiben?«
Darüber hatte Ki noch nicht nachgedacht. Luchs war einer von ihnen, obendrein einer der Besten. »Er hat nicht viel, wohin er zurückkehren könnte. Sein Vater ist zwar ein Fürst, aber Luchs ist der viertgeborene Sohn.«
»Vielleicht könnte er Nikides Knappe werden.«
»Vielleicht.« Allerdings bezweifelte Ki, dass Luchs ein solches Angebot im Augenblick begrüßen würde. Er war Orneus nicht bloß treu ergeben gewesen, er hatte den oft betrunkenen Aufschneider geliebt, wenngleich Ki nie begriffen hatte, weshalb.
Im Pavillon hinter ihnen sprachen die Generäle immer noch mit dem König. Auf dem Palatin herrschte eine gespenstische Stille, und Ki konnte das stete Summen von Gebeten aus dem Tempel der Vier hören. Der Geruch von Weihrauch und verbrannten Opfergaben schien die Luft zu durchdringen. Ki schaute zum kalten, silbrigen Mond empor und fragte sich, wo die Götter an diesem Tag gesteckt hatten.
Bald danach drehte der Wind und trug ihnen neben dem Gestank von Rauch und Tod aus dem Hafen die leisen Klänge der singenden Stimmen des Feindes zu.
Siegeslieder, dachte Ki.
Eine Berührung an der Schulter ließ Tobin aus einem leichten Schlummer hochschrecken.
Es war Moriel. »Der König verlangt nach Euch, Prinz Tobin.«
Ki und Tharin folgten ihm schweigend, und Tobin war froh über ihre Begleitung.
Selbst aus zehn Schritt Entfernung roch er Branntwein und Heilkräuter am König, aber die Augen seines Onkels wirkten scharf, als er Tobin bedeutete, auf einem Schemel zu seinen Füßen Platz zu nehmen. Auch Hylus, Rheynaris, Niryn und Korin waren noch da. Sie alle blickten grimmig drein.
Erius streckte die linke Hand nach jener Tobins aus und sah ihm so eindringlich ins Gesicht, dass sich Tobin plötzlich fürchtete. Stumm lauschte er dem rasselnden, stockenden Atem des Königs.
Nach einer Weile ließ Erius ihn los und sank auf seinen Stuhl zurück. »Heute Morgen wurden Tauben in die Küstenstädte entsandt«, flüsterte er heiser. »Volchi wurde von der Seuche am schlimmsten heimgesucht. Dort hat man keine Truppen, um sie uns zu schicken. Ylani kann einige Männer erübrigen, aber selbst die ganze Garnison dort ist zu klein.«
»Was ist mit Atyion? Solari muss doch inzwischen unterwegs sein?«
»Von dort haben wir keine Antwort erhalten«, ergriff Hylus das Wort. »Mehrere Vögel wurden hingeschickt, aber keiner ist zurückgekehrt. Vielleicht hat der Feind sie abgefangen. Woran es auch liegen mag, wir müssen davon ausgehen, dass Solari noch nichts von den Neuigkeiten gehört hat.«
»Du musst hinreiten, Tobin«, krächzte der König. »Wir brauchen
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