Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
hinab. »Lass ihn zufrieden, Ki«, meinte Tharin. »Tobin ist noch jung und nicht an den Hof gewöhnt. Ich war in seinem Alter auch so. Aber noch mal zu dieser Sache mit der Schwertkampfausbildung.« Sein Gesichtsausdruck wurde ernst. »Sie hat es selbst gesagt: Ihr Vater hält nichts von den alten Traditionen, und Herzog Savoi ist kein Mann, den man verärgern sollte. Sie täte besser daran, beim Bogenschießen und Reiten zu bleiben.«
Tobin nickte, wenngleich ihm ein missbilligender Vater weit weniger Furcht einflößte als die Aufmerksamkeit des Mädchens. Seine Lippe schmerzte immer noch, wo sie ihn geküsst hatte.
»Abgesehen davon, wirst du in ein, zwei Jahren vielleicht anders empfinden«, fuhr Tharin fort. »Sie ist ein anständiges Mädchen aus einer mächtigen Familie. Und ein hübsches Ding obendrein.«
»Meine Rede!«, warf Ki innig ein. »Wenn ich der Meinung wäre, sie würde einen niedrigen Knappen zweimal ansehen, wäre ich glücklich, in deinen Schuhen zu stecken.«
Ob der plötzlichen Wärme in Kis Stimme und seines wehmütigen Lächelns zog sich Tobin der Magen zusammen, als hätte er etwas Bitteres gegessen.
Warum sollte es mich kümmern, ob sie Ki gefällt?, dachte er. »Ich habe ihr das ohnehin nur gesagt, weil ich nett sein wollte«, brummte er. »Wahrscheinlich hat sie es schon vergessen.«
»Nicht Una«, widersprach Ki. »Ich habe gesehen, wie sie uns beobachtet.«
Tharin nickte. »Was sie dir über ihre Großmutter erzählt hat, ist wahr. Generalin Elthia war auf dem Feld jedem Mann ebenbürtig und eine gewiefte Strategin. Dein Vater hatte eine sehr hohe Meinung von ihr. Ja, ich erkenne ein wenig von der alten Kriegerin in Una. Das ist das Ärgerliche mit den neuen Gepflogenheiten. Das Blut von Heldinnen fließt in den Adern zu vieler Mädchen, die noch alle die Geschichten kennen, aber dazu verdammt sind, Röcke zu tragen.«
»Kein Wunder, dass sie neidisch auf eine gewöhnliche Soldatin wie Ahra ist«, meinte Ki.
»Ich denke, auch das wird Erius nicht mehr lange durchgehen lassen. Und wohin werden sie dann alle gehen?«
»Du meinst, es gibt viele von ihnen? Frauen als Kriegerinnen?«, fragte Tobin.
»Ja. Denk nur an die alte Köchin – oder Unteroffizierin Catilan, wie sie früher hieß –, die all die Jahre in der Küche deines Vaters gearbeitet hat. Erius hat eine Menge der älteren Kriegerinnen ausgemustert. Sie war zu treu ergeben, um sich dagegen aufzulehnen, aber es schmerzt ihren Stolz noch immer. über das Land verteilt gibt es Hunderte wie sie. Vielleicht sogar mehr.«
Tobin starrte in das Feuer und stellte sich eine Armee entrechteter Kriegerinnen vor, die wie Geister in unbekannte Ferne ritten. Der Gedanke jagte ihm einen Schauder über den Rücken.
K APITEL 9
Arkoniel streckte sich die Steifigkeit aus den Schultern und ging zum Fenster des Arbeitszimmers. Er faltete die Briefe auseinander, die Koni am Morgen gebracht hatte, und las sie langsam.
Draußen schwand der Nachmittag rasch. Der Turmschatten rankte sich wie ein krummer Finger über die frische Schneedecke der Weide. Abgesehen von der aufgewühlten Spur, die Konis Pferd hinterlassen hatte, war sie weich und weiß wie ein frisches Bettlaken. Keine Schneefestungen standen unterhalb der Truppenunterkünfte, keine Fußspuren schlängelten sich zum Fluss oder zum Wald.
Und kein widerhallendes Gelächter vor meiner Tür, dachte Arkoniel verdrießlich. Er hatte sich noch nie einsamer gefühlt. Mittlerweile hielten sich nur noch Nari und Köchin mit ihm in der Feste auf; zu dritt geisterten sie durch den Ort.
Seufzend wandte er sich wieder den Briefen zu. Seine Gegenwart hier blieb ein Geheimnis, sodass die Schreiben stets an Nari gerichtet waren. Arkoniel strich das erste Pergament auf dem Fenstersims glatt und rieb mit dem Daumen müßig über das gebrochene Siegel. Beide Jungen hatten ihm über Oruns Tod geschrieben. Iya hatte ihm schon zuvor eine Nachricht geschickt, aber er war neugierig auf die Schilderung der Jungen.
Tobin fasste sich kurz: Orun hatte eine Art Schlaganfall, herbeigeführt durch schlechte Neuigkeiten. Kis Ausführungen erwiesen sich als nützlicher, wenngleich er nicht bei Tobin gewesen war, als es geschah. Arkoniel lächelte, als er den Doppelbogen entfaltete. Trotz Kis anfänglichem Widerstand gegen das Schreiben und einer alles andere als schönen Handschrift schienen dem Jungen die Worte so mühelos von der Feder zu fließen wie sonst von den Lippen. Seine Briefe waren stets
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