Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
seinesgleichen vielleicht nicht die Oberhand erringen.
An diese Hoffnung klammerte sie sich, wenn sie die verhasste Brosche der Spürhunde jeden Tag in Ero an ihrem Mantel anbrachte.
Sie musste am Hauptsitz der Spürhunde vorbei, wenn sie den Palatinkreis verließ. Auf den Höfen rings um die alte Steinherberge tummelten sich stets weiß gewandete Zauberer und ihre grau uniformierten Wächter. Der Anblick erinnerte sie an ein Hornissennest, und sie behandelte es als solches, ging stets auf der gegenüberliegenden Straßenseite daran vorüber. Einmal war sie im Inneren gewesen, als sie im schwarzen Buch der Spürhunde mit einer Nummer erfasst worden war. Während jenes Besuchs hatte sie genug gesehen, um zu wissen, dass sich ein zweiter Aufenthalt dort vermutlich als verheerend erweisen könnte.
Daher hielt sie sich davon fern und ging äußerst umsichtig dabei vor, andere wie sie selbst anzusprechen, gewöhnliche Zauberer, die gezwungen worden waren, das schändliche Nummernabzeichen zu tragen. Mittlerweile gab es weit weniger von ihnen in Ero, und die meisten waren zu verängstigt oder argwöhnisch, um mit ihr zu reden. Von all den Schänken, die einst von ihresgleichen besucht worden waren, gab es nur noch die Goldene Kette, und dort wimmelte es vor Spürhunden. Zauberer, die sie ein Leben lang gekannt hatte, grüßten sie voll Misstrauen, und nur noch wenige boten ihr Gastfreundschaft an. Es war eine beängstigende Veränderung in einer Stadt, die freie Zauberer einst in höchstem Maße geehrt hatte.
Unglücklich wanderte sie eines Abends durch den halb verwaisten Markt auf dem Delfinhof, als sie plötzlich von einem jähen, sengenden Schmerz umfangen wurde. Wie betäubt, konnte sie weder etwas hören, noch schreien.
Sie haben mich!, dachte sie unter stummen Qualen. Was wird jetzt aus Tobin?
Dann erblickte sie wie in einer Vision ein von weißem Feuer umrahmtes Gesicht, doch es war nicht jenes Tobins. Der Mann, dessen Züge sich vor einer Pein streckten, die ihre eigene überstieg, schien ihr geradewegs in die Augen zu starren, während das Fleisch an seinem Schädel brutzelte und schrumpfte. Sie kannte das Gesicht. Es gehörte Skorus, einem Zauberer aus dem Süden. Sie hatte ihm vor Jahren eines ihrer magischen Andenken gegeben und seither nicht mehr an ihn gedacht.
Das gemarterte Gesicht verschwand, und sie fand sich ausgestreckt auf dem dreckigen Kopfsteinpflaster wieder, wo sie nach Luft schnappte.
Er muss den Talisman bei sich gehabt haben, als sie ihn verbrannten, dachte sie, zu erschüttert, um sich zu bewegen. Aber was bedeutete das? Die kleinen Kiesel waren mindere Zauber, enthielten nur einen winzigen Funken Magie, um die Getreuen zu finden und zu rufen, wenn die Zeit kam. Sie hätte nie gedacht, dass sie auch als Verbindung zurück zu ihr wirken könnten. Dieser jedoch hatte es getan, und dadurch hatte sie einen Bruchteil der Qualen gespürt, die er empfand, als er starb. Dutzende Zauberer waren verbrannt worden, vermutlich Hunderte, aber er musste der Erste ihrer Auserwählten gewesen sein, den man gefasst hatte. Iya erstaunte, wie schnell die Schmerzen verflogen. Sie hatte erwartet, ihre Haut von Blasen überzogen vorzufinden, aber zum Glück hatte der Bann nur die letzten Gefühle des sterbenden Zauberers übertragen, nicht die Magie, die ihn getötet hatte.
»Mütterchen, seid Ihr krank?«, fragte jemand.
»Wohl eher betrunken«, meinte jemand anders. »Steh auf, alte Vettel!«
Sanfte Hände halfen ihr auf die Knie. »Kiriar!«, keuchte sie, als sie den jungen Mann erkannte. »Bist du immer noch bei Dylias?«
»Ja, Frau Iya.« Bei ihrer letzten Begegnung war er Lehrling gewesen. Mittlerweile hatte er einen richtigen Bart und ein paar Furchen im Gesicht, aber seine Kleider waren zerlumpt wie die eines Bettlers. Nur das Abzeichen der Spürhunde an seinem Hals kennzeichnete ihn als das, was er war. Seine Nummer war Neununddreißig.
Auch er musterte sie. »Zweihundertzweiundzwanzig? Wie ich sehe, haben sie länger gebraucht, um Euch zu finden.« Er bedachte sie mit einem reumütigen Blick. »Heutzutage fällt uns so etwas auf, so traurig es ist. Fühlt Ihr Euch besser? Was ist geschehen?«
Iya schüttelte den Kopf, als er ihr auf die Beine half. Sie hatte Kiriar und seinen Meister Dylias immer für anständige Menschen gehalten, aber im Augenblick war sie noch zu erschüttert, um sich ein Urteil zu bilden oder ihm ihr Vertrauen zu schenken. »Es ist beschwerlich, alt zu werden«, sagte sie
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