Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
ausführlicher. Er berichtete von den Blutergüssen an Tobins Hals und dem Umstand, dass er besinnungslos nach Hause getragen worden war. Am seltsamsten war, dass er mit der Zeile schloss: Tobin fühlt sich immer noch schrecklich deswegen. Iya hatte in ihrem Schreiben nichts von irgendwelchem Bedauern erwähnt, doch Arkoniel vermutete, dass es sich um keine belanglose Floskel handelte. Ki kannte Tobin besser als jeder andere, und er hatte die Abneigung seines Freundes gegen dessen Vormund geteilt. Warum sollte sich Tobin wegen des Verscheidens dieses Mannes schlecht fühlen?
Arkoniel faltete Tobins Brief zusammen und steckte ihn in den Ärmel, um ihn später Nari zu bringen, jenen Kis hingegen legte er auf den ordentlichen Stapel auf seinem Schreibtisch.
Ich hätte ihn beinah getötet, aber ich habe es nicht getan, erinnerte er sich wie jedes Mal, wenn er den Stapel um einen neuen Brief ergänzte. Er war nicht sicher, weshalb er sie aufbewahrte; vermutlich als Behelf gegen die Albträume, die ihn immer noch plagten, Träume, in denen er nicht zögerte und Ki nicht wieder aufwachte.
Arkoniel verdrängte die Erinnerung und blickte zum Fenster, um den Fortschritt der Sonne zu überprüfen. Am Vortag war er zu lange aufgeblieben.
Als er ursprünglich hierher gekommen war, hatte die Feste einer Gruft geglichen, durch die sowohl die Lebenden als auch die Toten gespukt waren. Er und Iya hatten den Herzog dazu überredet, das Gemäuer zu einem ordentlichen Heim für sein Kind umzugestalten, und eine Zeit lang war es das auch gewesen. Auch für Arkoniel war es ein Heim geworden, das Erste, seit er das Haus seines Vaters verlassen hatte.
Mittlerweile fiel der Ort allmählich wieder der Verwahrlosung anheim. Die neuen Wandbehänge und der frische Verputz sahen bereits verblasst aus. Der Schild in der Halle war vor Vernachlässigung beschlagen, und die Spinnen hatten ihr Königreich im Gebälk zurückerobert. Ohne regelmäßige Feuer in den meisten Räumen fühlte sich die Feste wieder feucht, kalt und düster an. Es war, als hätten die Jungen das Leben des Ortes mitgenommen.
Seufzend wandte er sich wieder dem Schreibtisch zu, um seine Tagesaufzeichnungen fertigzustellen. Nachdem er das Tagebuch weggeschlossen hatte, räumte er die Trümmer seiner jüngsten fehlgeschlagenen Bemühungen weg.
Er war fast fertig damit, als etwas leise an der Tür vorbeistrich, nicht lauter als die Schnurrhaare einer Maus. Arkoniel stockte der Atem. Das Glasstäbchen, das er gerade gereinigt hatte, glitt ihm aus den Fingern und zerbarst zu seinen Füßen.
Nur eine Ratte. Es ist zu früh. Am östlichen Himmel schimmerte noch goldenes Licht. Sie kommt nie so früh herunter.
Eine Gänsehaut kroch ihm über die Arme, als er eine Kerze anzündete und langsam zur Tür ging. Seine Hand zitterte, und ein Rinnsal heißen Wachses ergoss sich über seine Finger.
Da ist nichts. Da ist nichts, sagte er sich wiederholt, wie ein Kind in der Dunkelheit.
Solange Tobin und die anderen unter ihm gewohnt hatten, war es ihm gelungen, seine Furcht im Zaum zu halten, sogar als Bisirs unerwarteter Aufenthalt ihn mehrere Tage am Stück in seinen Gemächern eingeschlossen hatte. Mit anderen im Haus störte ihn das halb wahrgenommene Flüstern auf dem Gang nicht so sehr.
Nun, da der zweite Stock leer stand, lagen seine Räumlichkeiten plötzlich viel zu weit von Köchins warmer Küche entfernt und viel zu nah an der Turmtür. Jene Tür war zwar seit Arianis Tod verriegelt, was ihren rastlosen Geist jedoch nicht davon abhielt, herauszuwandern.
Seit seiner ersten Begegnung mit ihrem zornigen Geist hatte Arkoniel die Turmtreppe zweimal erklommen. Angetrieben von Neugier und Schuldgefühlen war er am Tag, nachdem Tobin zum ersten Mal nach Ero aufgebrochen war, in die Turmkammer hinaufgestiegen, hatte dort jedoch nichts gespürt. Erleichtert, aber unbefriedigt, hatte er den Mut aufgebracht, um Mitternacht zurückzukehren – um dieselbe Zeit, zu der Tobin ihn dorthin geführt hatte –, und dann hatte er Ariani so deutlich weinen gehört, als hätte sie unmittelbar hinter ihm gestanden. Hin- und hergerissen zwischen Furcht und Mitgefühl war er geflüchtet und hatte in der Küche geschlafen, den Turmschlüssel mit der Hand umklammert. Am nächsten Morgen warf er den Schlüssel in den Fluss und verlagerte sein Schlafgemach in das Spielzimmer im ersten Stock. Er wäre auch mit seinem Arbeitszimmer übersiedelt, aber die Einrichtung war zu schwer, und er hätte den Rest
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