Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
des Winters gebraucht, um all die Bücher und Instrumente hinunterzutragen, die er angehäuft hatte. So begnügte er sich stattdessen damit, sich nur während der Tageslichtstunden dort aufzuhalten.
Aber an diesem Tag hatte er zu lange im Arbeitszimmer verweilt. Arkoniel holte tief Luft, umfasste den Riegel und öffnete die Tür.
Ariani stand am Ende des Ganges. Tränen strömten ihr über das blutige Gesicht, und ihre Lippen bewegten sich. Arkoniel verharrte wie erstarrt in der Tür und lauschte angestrengt, aber sie gab keinen Laut von sich. Bei ihrer ersten Begegnung nach ihrem Tod hatte sie ihn angegriffen, dennoch wartete er, wollte unbedingt ihre Worte hören, ihr etwas antworten. Dann jedoch trat sie einen Schritt auf ihn zu, wobei sich ihr Gesicht zu einer Maske des Zorns verzerrte, und der Mut ließ ihn im Stich.
Die Kerze warf erst wilde Schatten um ihn, als er losrannte, dann erlosch sie. Er kniff ob der plötzlichen Dunkelheit die Augen zusammen, hetzte die Treppe zwei Stufen auf einmal nehmend hinab und trat ins Leere, bevor sich seine Augen anpassen konnten. Einen Lidschlag lang strampelte er in der Luft, dann fiel er schwer und polterte die letzten Stufen in den willkommenen Lampenschein des ersten Stocks hinab. Er widerstand dem Drang, zurückzuschauen, und humpelte rasch zur Treppe, die in die Halle hinabführte.
Über kurz oder lang würde er sich noch selbst zum Geist machen.
K APITEL 10
Fürst Orun hinterließ keine Erben. Angesichts dieser Tatsache ging sein Eigentum in den Besitz der Krone über, wurde in das Schatzamt einverleibt, das er so fähig verwaltet hatte. Nach Niryns Einschätzung war es die einzige gute Arbeit gewesen, die der Mann je verrichtet hatte. Oruns strenge Aufrichtigkeit, wenn es um die Erfüllung seiner offiziellen Pflichten ging, hatte den Zauberer von jeher erstaunt.
Bald waren das Haus und dessen Einrichtung veräußert und ein neuer Schatzkanzler bestellt. Somit blieb nur noch, die Bediensteten aus Oruns Haushalt irgendwo unterzubringen, und nur wenige der Adeligen des Palatinkreises hätten sie geschenkt genommen.
Die berüchtigteren Spitzel wurden still und leise von jenen aus dem Weg geräumt, denen zu schaden sie geholfen hatten. Orun hatte eine Leidenschaft für Erpressung gehegt. Nicht des Geldes wegen – Reichtum dieser Art hatte er genug besessen – , sondern ob seines quälerischen Hanges zur Herrschaft über andere. Angesichts dieses Umstands und seiner übrigen, unangenehmen Freizeitvergnügungen betrauerten nur einige wenige sein Verscheiden.
Und so wurden seine Spitzel vergiftet oder erdrosselt, während die besser aussehenden Lustknaben heimlich in bestimmte andere Haushalte geschleust wurden. Der Rest wurde mit guten Zeugnissen und genug Gold aus der Stadt geschickt, um zu gewährleisten, dass sie nicht wiederkommen würden.
Niryn beobachtete diese Vorgänge aufmerksam und hatte es sich nicht nehmen lassen, Oruns Verbrennung beizuwohnen. Dort hatte ein junger Mann, der unter den spärlichen Trauernden gestanden hatte, seine Aufmerksamkeit erregt.
Sein Gesicht wirkte vertraut, und nach einer Weile erkannte ihn Niryn als einen niedrigen Adeligen namens Moriel, den Orun versucht hatte, dem Prinzen als Knappen aufzuzwingen. Orun hatte dem Burschen in seinem letzten Willen ein kleines Erbe vermacht, zweifellos für Dienste, die ihm der Junge erwiesen hatte. Er sah wie etwa vierzehn oder fünfzehn aus und hatte ein blasses, verbittertes Gesicht mit stechenden, klugen Augen. Neugierig streifte Niryn den Geist des Jungen, als sie am Scheiterhaufen standen, und war angenehm überrascht über das, was er darin vorfand.
Am folgenden Tag sandte er dem vielversprechenden jungen Burschen eine Einladung zum Essen, so es ihm seine Trauer gestatte. Der Bote kehrte bald mit der erwarteten Antwort zurück, verfasst mit derselben purpurnen Tinte, die sein verstorbener Fürsprecher bevorzugt hatte. Der junge Moriel teilte ihm mit, dass es ihm eine Freude sei, mit dem Zauberer des Königs zu speisen.
K APITEL 11
Iya bedauerte nicht, Orun aus dem Weg zu haben, und sie teilte Tobins Erleichterung darüber, dass sich Kanzler Hylus zum vorübergehenden Vormund ernannt hatte. Sie hoffte, Erius würde den braven alten Kerl in dieser Eigenschaft belassen. Hylus war ein anständiger Mann, ein Überbleibsel der alten Zeiten, bevor Erius und seine wahnsinnige Mutter die Krone besudelt hatten. Solange Erius noch auf seinen Rat hörte, würden Niryn und
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