Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin
Finger langsam das erhabene Muster auf ihrem Silberkelch nach. Sie trug ein dunkelrotes Kleid, bestickt mit goldenen Ranken, und die Farbe stand ihr. Das Kerzenlicht zeichnete ihre Züge weich und brachte ihr Haar zum Glänzen, das ihr offen über die Schultern auf die Brust hing.
In jenem Augenblick vergaß Ki den einstigen Tobin, wie er es noch nie getan hatte. Ihre Lippen sahen weicher aus als jede, die er bisher geküsst hatte, ihre Wangen so glatt wie die einer jungen Frau, nicht wie die eines bartlosen Jungen. Bei diesem Licht wirkte sie nachgerade zerbrechlich. Es war, als betrachte er sie zum ersten Mal.
Dann drehte sie sich ihm zu und zog eine Braue hoch, wie Ki es schon Tausende Male gesehen hatte, und schlagartig kehrte Tobin zurück, der ihn mit denselben Augen wie immer musterte.
»Was? Ist dir das Essen nicht bekommen?«
Er bedachte sie mit einem verlegenen Lächeln. »Ich dachte bloß gerade …« Mit rasendem Herzen verstummte er. »Ich wünschte, du kämst morgen mit.«
»Ich auch.« Auch ihr schiefes Lächeln war jenes Tobins.
»Versprich mir …« Nun wirkte sie verlegen, als sie verstummte. »Also, hab nicht so viel Spaß, dass du dich dabei umbringen lässt.«
»Ich werde mich bemühen, das zu verhindern. Jorvai denkt, die meisten werden ohnehin kampflos aufgeben, sobald sie sehen, dass du willens bist, gegen sie vorzugehen. Unter Umständen bekomme ich gar keine Gelegenheit dazu, das Schwert zu ziehen.«
»Ich weiß nicht recht, was ich dir wünschen soll: Sicherheit oder einen ehrenhaften Kampf. Für den Fall, dass es doch zu Gefechten kommt, habe ich das hier für dich gemacht.« Sie griff in ihren Ärmel und holte eine goldene Scheibe mit einem Durchmesser von rund einem Zoll hervor, die sie ihm reichte. Darauf prangte als erhabenes Muster eine gezeichnete Eule mit gespreizten Schwingen, die einen Halbmond in den Klauen hielt. »Die Idee dazu kam mir vor einigen Tagen. Ich habe es aus Wachs angefertigt und in der Ortschaft gießen lassen.«
»Das ist wunderschön! Es ist toll zu sehen, dass du wieder Dinge anfertigst.« Ki löste den Lederriemen um seinen Hals und fädelte den Anhänger neben das geschnitzte Pferd. »Jetzt habe ich beide Götter bei mir.«
»Das war der Gedanke dahinter.«
Sie erhob sich und streckte die Hand aus. Ki stand auf und ergriff sie. »Sakors Feuer, Ki, und Illiors Licht, um dich zu führen.«
Ihre Finger fühlten sich warm in den seinen an, außerdem stark und schwielig vom Spannen etlicher Bogensehen, ihre Hand war rau vom Halten des Griffs ihres Schwertes. Er zog sie in seine Arme, drückte sie und wünschte, er verstünde sein Herz. Sie erwiderte die Umarmung. Als sie sich voneinander lösten, vermeinte er einen Anflug seiner eigenen Verwirrung in ihren Augen zu erkennen. Bevor er jedoch sicher sein konnte, wandte sie sich ab und griff nach ihrem Kelch. »Es ist spät. Du solltest schlafen, solange du noch kannst.«
»Da hast du wohl Recht.« Sie sah ihn immer noch nicht an. Hatte er sie irgendwie verletzt? »Ich … ich könnte noch ein wenig bleiben.«
Tamír lächelte ihn an und schüttelte den Kopf. »Sei nicht albern. Geh und ruh dich aus. Ich werde da sein, um dich zu verabschieden. Gute Nacht, Ki.«
Ihm fiel nichts mehr zu sagen ein. »Danke für mein Kommando«, meinte er schließlich. »Ich werde dich mit Stolz erfüllen.«
»Ich weiß.«
»Tja, dann … gute Nacht.«
Die Tür zu seinem Zimmer befand sich nur ein Dutzend Schritte von jener Tamírs entfernt, doch er hatte das Gefühl, eine Meile zurückgelegt zu haben, als er sie erreichte. Überrascht fand er Tharin im Zimmer vor, der an dem Gestell mit Kis Rüstung stand.
»Da bist du ja. Weil du keinen Knappen hast, wollte ich eine letzte Überprüfung deiner Ausrüstung vornehmen.« Er verstummte und bedachte Ki mit einem sonderbaren Blick. »Was ist denn los mit dir?«
»Nichts!«, rief Ki rasch.
Danach zu urteilen, wie Tharin die Augen verengte, zu rasch. »Warst du gerade bei Tamír?«
»Ja. Ich wollte … ihr danken, und sie ist besorgt um mich, und …«, stockend brach er den Satz ab.
Tharin betrachtete ihn eine Weile schweigend, dann schüttelte er nur den Kopf.
Tamír verbrachte eine schlaflose Nacht. Jedes Mal, wenn sie die Augen schloss, sah sie den gequälten Ausdruck in Kis Gesicht und erinnerte sich daran, wie es sich angefühlt hatte, als er sie umarmte. Er weiß immer noch nicht, was er mit mir anfangen soll … und ich weiß es auch nicht.
Noch vor
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