Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin
wollte wütend auf Ki sein, doch ohne ihn fühlte sich der verschwenderische Raum plötzlich zu einsam an. Ihr Blick wanderte zu dem großen Bett. Sie hatte noch selten alleine geschlafen – zuerst stets neben Nari, ihrer Amme, später neben Ki. Tamír versuchte, sich vorzustellen, ihn durch Una zu ersetzen, und krümmte sich innerlich bei der Erinnerung an jenen peinlichen Kuss, den ihr das Mädchen gegeben hatte. Damals hatte Una Tobin bloß für einen schüchternen, unterentwickelten Jungen gehalten. Seit der Verwandlung war kaum Zeit gewesen, mit ihr zu reden, doch dank Tharin und den Fäden, die er gezogen hatte, würde es fortan schwierig werden, ihr aus dem Weg zu gehen.
»Bei Bilairys Hintern!«, entfuhr es ihr stöhnend. »Was soll ich nur tun?«
Überleben, Schwester, Lebe für uns beide.
Tamír setzte sich so jäh auf, dass Wasser über die Seite der Wanne auf den Boden schwappte. Bruder stand vor ihr, ein matter, aber unverkennbarer Schemen, den weder der Feuer- noch der Kerzenschein erfassten.
»Was machst du hier? Ich dachte … Ich dachte, du wärst weitergezogen.«
Es fiel ihr nun schwer, ihn anzublicken – das Bild des jungen Mannes, der sie zu sein geglaubt hatte. Er war so bleich wie eh und je, und die Augen waren ausdruckslos und schwarz, ansonsten jedoch sah er so aus, wie er es im Leben getan hätte, bis hin zu einem dünnen Flaum dunkler Haare an der Oberlippe. Plötzlich fühlte sie sich unter jenem steten Starren unbehaglich und schlang die Arme um die Knie.
Seine harte Flüsterstimme drang in ihren Verstand. Du lebst noch, Schwester. Für uns beide. Du wirst herrschen, für uns beide. Du schuldest mir ein Leben, Schwester.
»Wie soll ich eine solche Schuld je begleichen?«
Er starrte sie nur weiter an.
»Warum bist du noch hier?«, verlangte sie zu erfahren. »Lhel hat gesagt, du wärst frei, wenn ich deinen Knochensplitter herausschneide. Der Rest von dir ist mit der Puppe verbrannt. Es ist nichts übriggeblieben, nicht einmal Asche.«
Die ungesühnten Toten ruhen nicht.
»Ungesühnt? Du warst eine Totgeburt. Das hat man mir erzählt.«
Du wurdest belogen. Bring die Wahrheit in Erfahrung, Schwester. Das letzte Wort zischte er wie einen Fluch.
»Kannst du Lhel für mich finden? Ich brauche sie!«
Der Dämon schüttelte den Kopf, und der Ansatz eines Lächelns auf seinen toten Lippen jagte einen Schauder durch Tamír. Der Bund aus Haut und Knochen war aufgehoben. Sie konnte nicht mehr über ihn befehligen. Die Erkenntnis ängstigte sie. »Bist du hier, um mich zu töten?«, flüsterte sie.
Die schwarzen Augen schienen noch dunkler zu werden, und das Lächeln des Geistes wirkte giftig. Wie viele Male ich das doch tun wollte!
Er kam näher, glitt durch die Seite der Wanne und kniete sich vor ihr ins Wasser, bis sein Gesicht wenige Fingerbreiten vor dem ihren schwebte. Das Wasser wurde schmerzlich kalt wie das des Flusses unter der Feste im Frühling. Der Dämon packte ihre nackten Schultern, und seine frostigen Finger gruben sich in ihr Fleisch, fühlten sich nur allzu fest an. Siehst du? Ich bin kein hilfloser Schatten. Ich könnte in deine Brust greifen und dir das Herz zerquetschen, wie ich es bei dem fetten Mann gemacht habe, der sich dein Vormund nannte.
Mittlerweile erfüllte Tamír blankes Grauen, schlimmer, als sie es je in seiner Gegenwart empfunden hatte. »Was willst du, Dämon?«
Dein Gelöbnis, Schwester. Vergelte meinen Tod.
Ein schauerliches Begreifen durchdrang den Schleier ihrer Furcht. »Wer war es? Lhel? Iya?« Sie schluckte schwer. »Vater?«
Die Gemeuchelten können die Namen ihrer Mörder nicht aussprechen, Schwester. Du musst es selbst herausfinden.
»Verdammt seist du!«
Bruder lächelte immer noch, als er langsam verblasste.
Die Tür flog auf, und Tharin und Una stürmten mit gezückten Schwertern herein.
»Was ist denn los?«, fragte Tharin.
»Nichts«, erwiderte Tamír rasch. »Es geht mir gut, ich habe bloß … bloß laut nachgedacht.«
Tharin nickte Una zu, die sich darob zurückzog und die Tür schloss. Tharin ließ die Augen argwöhnisch durch das Zimmer wandern, als er das Schwert in die Scheide steckte.
»Ich bin fast fertig«, sagte Tamír, zog die Knie an die Brust an und schlang die Arme darum. »Ich habe Ki gesagt, er könne das Wasser nach mir verwenden, aber es ist kalt geworden.«
Bruder hatte das letzte Quäntchen Wärme gestohlen. Nein, denk jetzt nicht an ihn oder daran, was er angedeutet hat. Auf ihr lastete auch ohne
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