Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin
Nalia. Sie weinte um Korin, doch in ihren Kummer mischten sich Schuldgefühle. Ihre Hoffnung auf seine Liebe war kurzlebig gewesen, und sie hatte sie mit eigener Hand zerstört, indem sie Niryn getötet hatte. Sie wollte um ihren Gemahl trauern, aber in Wahrheit konnte sie sich nur vorstellen, wie ein Leben voll Pflichten und mit seiner Kälte ausgesehen hätte.
Was immer kommen mag, zumindest das bleibt mir erspart.
Nalia wischte sich die Augen ab und kehrte zum Bett zurück. Sie schlief auf der Suche nach richtigem Kummer in ihrem Herzen ein, ohne welchen zu finden.
Als sie wieder erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel, und draußen herrschte Stille. Sie schickte Tomara los, um Frühstück zu holen. Da sie keine richtigen Trauergewänder besaß, legte sie stattdessen ihr feinstes Kleid an – jenes, das sie ursprünglich bei Korins Rückkehr tragen wollte.
Tomara kam mit leeren Händen und völlig aufgelöst zurück. »Sie sind weg!«
»Wer?«
»Alle!«, heulte die Frau. »Fürst Alben, die Soldaten – alle außer einigen Bediensteten. Was sollen wir jetzt nur tun?«
Nalia ging zur Turmtür. Zum ersten Mal hielt niemand sie davon ab, den Raum zu verlassen. Ein Gefühl traumgleicher Unwirklichkeit erfasste sie, als sie nur mit Tomara als Begleitung die Treppe hinabstieg. Zusammen schritten sie durch die verwaisten Gänge in die große Halle.
Weit und breit waren nur Korins zurückgelassene Hunde zu sehen. Winselnd und schwanzwedelnd kamen sie auf Nalia zugetrottet. Sie begab sich hinaus auf den Hof und stellte fest, dass man das Nordtor leicht geöffnet gelassen hatte. Zum ersten Mal seit dem Beginn des Albtraums ihrer Gefangenschaft trat sie hindurch, schlenderte ein Stück die Straße hinab und genoss die unverhoffte Freiheit.
»Wir müssen flüchten«, bedrängte Tomara sie. »Kommt mit mir ins Dorf. Ich habe dort Bekannte. Sie werden Euch verstecken oder in einem Fischerboot wegbringen …«
»Und wohin?«, fragte Nalia und blickte zum Himmel empor. Er präsentierte sich so leer, wie sie sich fühlte. »Ich habe jetzt niemanden mehr auf der Welt. Mach, was du willst, aber ich bleibe.«
Damit kehrte Nalia in ihren Turm zurück. Er war nicht mehr ihr Kerker und der einzige Ort in der großen Festung, den sie je ihr Eigen genannt hatte.
Früh an jenem Abend ertönte ein Ruf vom Ausguck an der Südmauer. In der zunehmenden Düsternis erkannte Nalia auf der Straße die dunkle Masse einer Schar von Reitern, die sich im Galopp näherten. Ihre Zahl konnte sie wegen der mächtigen Staubwolke, die sie umhüllte, nicht abschätzen, sehr wohl jedoch sah sie das stumpfe Schimmern von Helmen und Speerspitzen.
Furcht erfasste sie, als ihr die Wirklichkeit ihrer hilflosen Lage bewusst wurde.
Dagegen lässt sich nichts mehr machen , sagte sie sich. Sie strich sich das Haar und das Kleid glatt und begab sich hinunter in die große Halle, um ihr Schicksal zu erwarten.
Tomara blieb dicht an ihrer Seite, als sie das Podium erklomm und zum ersten Mal auf dem Stuhl Platz nahm, der Korin gehört hatte. Bald kam ein Stalljunge hereingerannt. »Es sind ein Herold und Fürst Lutha, Herrin! Soll ich sie hereinlassen?«
»Fürst Lutha?« Was mochte das bedeuten? »Ja, bring sie zu mir.«
Lutha und Nyanis hatten mit Widerstand gerechnet, nicht damit, die Festung aufgegeben und das Tor offen vorzufinden. Auch Arkoniel empfand dies als verdächtig, doch es gab keinerlei Anzeichen für einen Hinterhalt. Die Soldaten und Zauberer waren einfach verschwunden.
Ein verängstigter Junge grüßte sie von der Mauer aus und kehrte mit der Kunde zurück, dass Fürstin Nalia sie empfangen würde.
Lutha ließ Nyanis und die Aurënfaie zurück. Er nahm nur Arkoniel und den Herold mit auf den widerhallenden Hof, der sich ebenfalls als gespenstisch menschenleer erwies.
Nalia erwartete sie in der großen Halle auf Korins Platz auf dem Podium. Tomara war ihre einzige Begleitung.
Nalia lächelte ihm unsicher zu. »Ich bin froh zu sehen, dass Ihr lebt, Herr, aber Eure Gefolgstreue scheint sich gewandelt zu haben. Die Kunde vom Tod des Königs hat uns bereits erreicht. Fürst Alben überbrachte sie, bevor er floh.«
»Korin ist tapfer gestorben«, sagte Lutha zu ihr. Mehr hatte Tamír ihm vor seinem Aufbruch nicht mit auf den Weg gegeben. »Königin Tamír hat mich unverzüglich zu Euch geschickt, um Eure Sicherheit zu gewährleisten und Euch zu bestellen, dass Ihr nichts vor ihr zu befürchten habt, sofern Ihr nicht vorhabt,
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