Tamuli 2 - Das leuchtende Volk
Cyrgon befragte den jungen Mann eingehend; dann – offenbar zufrieden – wies er ihn in seine Aufgabe ein. Scarpa verließ den Gott der Cyrgai ohne ein Fünkchen mehr Respekt als vor ihrem Treffen. Zalasta verlor den letzten Rest von Achtung, den er anfangs vor seinem Sohn gehabt haben mochte, und beschloß bereits in Gedanken, daß Scarpa ihren Sieg nicht lange überleben würde, sollte ihr Komplott von Erfolg gekrönt werden.« Xanetia machte eine Pause. »Wenn Ihr es so sehen möchtet, Sephrenia, kann man sagen, Euer Verlangen nach Rache wird gestillt; der erste Schritt dazu ist getan. Zalasta ist eine leere Hülle, ohne Gott und ohne irgend jemanden auf der Welt, der ihn liebt oder ihn auch nur seinen Freund nennt. Selbst die kärgliche Zuneigung, die er für seinen Sohn empfunden hatte, ist erstorben. Zalasta ist leer und einsam.«
Zwei große Tränen traten Sephrenia in die Augen, doch sie wischte sie rasch und verärgert fort. »Das genügt nicht, Anarae!« sagte sie hart.
»Ihr habt zu viel Zeit unter Eleniern verbracht, kleine Mutter«, sagte Sarabian. Sperber horchte auf. Er konnte sich nicht sicher sein, ob der hochintelligente, aber unberechenbare tamulische Kaiser diese liebevolle Anrede absichtlich benutzt hatte oder es ihm nur entschlüpft war.
»Wer hat die anderen rekrutiert, Anarae?« fragte Vanion, um von der ein wenig heiklen Situation abzulenken.
»Das war Scarpa, Hochmeister Vanion«, antwortete sie. »Cyrgon hatte ihn angewiesen, Gleichgesinnte zu suchen, die das Volk in Westtamuli zur Rebellion aufwiegeln sollten, damit Anakha der Weg versperrt sein würde, sollte er mit den Armeen der Kirche heranmarschieren. Cyrgon würde seine geliebten Cyrgai nur ungern durch jemanden wie Euch in Gefahr bringen. Scarpa kannte zufällig einen verarmten dazitischen Edelmann. Von Schulden geplagt und von seinen Schuldnern gedrängt, flüchtete dieser Mann aus Dakonien und versteckte sich eine Zeitlang auf eben jenem arjunischen Jahrmarkt, auf dem Scarpa seine fragwürdige Kunst zeigte. Diesen heruntergekommenen Edelmann, Baron Parok mit Namen, suchte Scarpa auf seinem Heimweg von Cyrga auf. Der in seiner Bedrängnis zu allem bereite Parok schloß sich seinem kurzzeitigen Kollegen gern an; denn die Verlockungen, die Scarpa zu bieten hatte, waren groß. Das skrupellose Paar besprach sich daraufhin mit den verruchten Styrikern in Verel und befolgte deren Rat, den Kaufmann Amador in Edom und den Poeten Elron in Astel anzuwerben, die beide sehr von sich eingenommen und unzufrieden mit der ihnen vom Schicksal zugeteilten Stellung im Leben waren.«
Bevier runzelte die Stirn. »Wir sind beiden begegnet, Anarae, und keiner von ihnen scheint mir das Zeug für einen Führer zu haben. Konnte Scarpa keine besseren Leute finden?«
»Die Auswahl wurde nach der Bereitwilligkeit zur Mitarbeit getroffen, Herr Ritter. Die Fähigkeit, mit Worten zu überzeugen, und die wirkungsvolle gebieterische Pose, die aller Augen auf sich zieht, läßt sich durch gewisse styrische Zauber verleihen. So wenig beeindruckend die beiden auch sind, zeichnete sie doch die hoffnungslose Verzweiflung aus, die Scarpa gesucht hat. Sowohl Amador wie Elron litten unbeschreiblich darunter, so unbedeutend zu sein. Beide waren nur zu gern bereit, alles zu tun, um dies zu ändern.«
»Das haben wir in Thalesien die ganze Zeit vor Augen, Bevier«, erklärte Ulath. »Wir nennen es ›das Klagelied des kleinen Mannes‹. Avin Wargunsson ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür. Er würde lieber sterben, als nicht beachtet zu werden.«
»Amador ist gar kein so kleiner Mann«, gab Talen zu bedenken.
»So wörtlich ist es auch nicht gemeint, Talen.« Ulath lächelte. »Wie kam eigentlich Graf Gerrich in Lamorkand ins Spiel, Anarae? Und warum?«
»Er wurde auf Zalastas Anweisung von Scarpa rekrutiert, Ritter Ulath. Zalasta wollte Zwietracht und Aufruhr auf dem eosischen Kontinent säen, um die Kirche von Chyrellos zu überzeugen, in ihrem eigenen Interesse Anakha nach Tamuli zu schicken, um die Ursachen der Unruhen in Erfahrung zu bringen. Von ihnen allen ist nur Zalasta auf beiden Kontinenten zu Hause und nur er begreift die Gedankengänge der Kirche. Elron und Amador sind lediglich Figuren in seinem Spiel. Sie wissen nur wenig vom wahren Ausmaß des Unternehmens, dem sie sich angeschlossen haben. Baron Parok ist zwar besser unterrichtet, aber nicht in alle Einzelheiten eingeweiht. Graf Gerrich wirkt nur am Rande mit. Er verfolgt seine eigenen Ziele,
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