Tamuli 3 - Das Verborgene Land
»Wahrlich.«
»Halten die Wachen sich an einen festen Ablauf?« wollte Bevier wissen.
»Nein, Herr Ritter. Sie halten sich lediglich in Bereitschaft, die Befehle ihres Königs zu befolgen. Ihre Hauptbeschäftigung besteht darin, dem Volk mit Fanfarengeschmetter anzukündigen, daß Santheocles sich an der Brustwehr zeigen wird, um gnädigst die Huldbezeugungen der Cyrgai entgegenzunehmen.«
»Ansonsten sitzen sie wartend in der Wachstube herum?« erkundigte sich Sperber. »Von jenem Paar abgesehen, das Wache vor der Zelle der Königin hält, und dem anderen Paar, welches die Treppe zu den unteren Geschossen dieses Turmes bewacht.«
»Können sie von der Wachstube aus in die Zelle der Königin gelangen?« fragte Bevier angespannt.
»Nein. Es gibt nur diese eine Tür.«
»Und wie breit ist die Türöffnung zwischen der Wachstube und dem Saal?« »Sie erlaubt nur jeweils einer Person Zugang, Ritter Bevier.«
»Kalten und ich werden uns mit dieser Tür beschäftigen, Sperber.«
»Gibt es sonst noch Möglichkeiten, in die Wachstube zu gelangen?« fragte Kalten.
Xanetia schüttelte den Kopf.
»Irgendwelche großen Fenster?«
»Nein, es gibt nur eines, und das ist nicht größer als jenes da oben, doch ohne Gitter.«
»Das beschränkt die Zahl unserer direkten Gegner also auf jene vier Wachen im Saal«, stellte Kalten fest. »Bevier und ich wären allein imstande, die anderen eine ganze Woche in der Wachstube gefangenzuhalten, wenn es sein müßte.«
»Und Sperber und ich können uns die übrigen vor der Zellentür und am Kopfende der Treppe vornehmen«, fügte Mirtai hinzu.
Sperber blickte wieder nach Osten, wo sich bereits ein leichtes Grau am Himmel ausbreitete. »Sehen wir zu, daß wir Talen in die Zelle kriegen!«
Kalten kletterte wieder die Wand zum Fenster hinauf und bohrte seinen schweren Dolch in den Mörtel.
»Seht Euch noch ein wenig um und haltet Wache, Anarae«, flüsterte Sperber. »Gebt uns Bescheid, falls jemand die Treppe heraufkommen sollte.« Sie nickte und verschwand um die Turmecke.
Sperber stieg nun zu Kalten hinauf und machte sich am Mörtel der linken Gitterverankerung zu schaffen, während sein Freund weiterhin an der rechten arbeitete. Nach kurzer Zeit zerrte Kalten an dem rostigen Eisen. »Die untere Befestigung hat sich gelöst«, raunte er. »Machen wir oben weiter.«
»Ist gut.« Sie hackten und bohrten im Mörtel der oberen Verankerung. »Paß auf, sobald das Zeug sich löst«, mahnte Sperber. »Es wäre nicht ratsam, wenn es auf die Brustwehr klappert.«
»Meine Seite ist frei!« wisperte Kalten. »Ich halte das Gitter fest, bis auch deine Seite lose ist.« Er langte nach innen, fand mit der Rechten einen guten Halt, und packte das Gitter mit der Linken.
Sperber bohrte tiefer, und es hagelte kleine Mörtelstücke auf die Brustwehr unter ihnen. »Ich glaube, das wär's!« flüsterte er.
»Versuchen wir es mal!« Kaltens Schultern strafften sich, und ein knirschendes Geräusch war zu hören, als das uralte Ziergitter sich aus der Wand löste. Mit einer weit ausholenden Bewegung schleuderte Sperbers kräftiger Freund das schwere Hindernis über die Brustwehr hinweg.
»Was machst du?« stieß Sperber erschrocken hervor.
»Ich schaffe uns das Ding vom Hals!«
»Hast du eine Ahnung, was für einen Krach das Gitter machen wird, wenn es unten aufschlägt?«
»Na und? Es sind gut fünfhundert Fuß bis nach unten! Soll es doch so viel Krach machen, wie es nur will. Falls gerade irgendein Cyrgai oder ein cynesganischer Sklavenaufseher darunter steht, wird es eine schlimme Überraschung für ihn geben. Aber wir können damit leben, stimmt's?«
Sperber streckte den Kopf durch die nun freie Fensteröffnung. »Ehlana?« flüsterte er. »Bist du da?«
»Wo sollte ich sonst sein, Sperber?«
»Entschuldige. Dumme Frage. Wir haben das Gitter entfernt und schicken jetzt Talen zu euch hinein. Schrei oder tu sonst irgendwas, sobald er das Schloß zerstört hat und die Wachen nicht mehr aufschließen können.«
»Geht mir aus dem Weg, Sperber!« zischte Talen direkt unter ihm. »Wie soll ich hineinkommen, wenn Ihr das Fenster versperrt!«
Sperber bewegte sich zur Seite, und der behende junge Bursche wand sich durch die Öffnung. Plötzlich hielt er inne. »Es geht nicht«, murmelte er. »Zieht mich raus!« »Was ist los?« fragte Kalten bestürzt.
»Fragt nicht, zieht mich einfach raus, Kalten. Für Erklärungen reicht die Zeit nicht!« Sperbers Herz wurde schwer, als er und Kalten den
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