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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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zu finden. Oliver durchsuchte das Haus bis zum Einbruch der Dämmerung, dann aß er allein im kleinen Eßzimmer. Als sich die Dunkelheit durch die Hallen ausbreitete wie Tinte in Wasser, zog er sich in sein Zimmer zurück. Um die Nacht zu bannen und alles, was in ihr geschehen konnte, spielte Oliver laut auf dem Piano.
    Als er schließlich zum Bett stolperte, sah er eine einzelne gelbe Rose auf dem Kissen liegen, zerbrechlich und süß. Er legte sie zur Lampe auf dem Nachttisch und zog die Decke über seinen noch angekleideten Körper.
    In den frühen Morgenstunden träumte er, daß Miss Parkhurst aus der Villa geflohen wäre und ihn zurückgelassen hätte. Die Geister und alten Männer waren überall und fragten ihn, warum er so rechtschaffen sei. »Sie hatte niemals eine Mama wie Sie«, sagte ein altersschwacher Bursche in schwarzem Samtnachtkleid. »Sie hat Dinge erlebt, die Sie sich nicht vorstellen können. Nun werfen Sie sie einfach raus. Wohin wird sie gehen?«
    Oliver erwachte gerade so lange, um sich an den Traum zu erinnern, dann fiel er in einen leichten, unruhigen Schlaf zurück.
     
    Mrs. Diamond Freeland blickte Yolanda finster an, die die Hände rang und vor sich hin murmelte. »Damit kannst du deiner Mama nicht helfen«, sagte sie.
    »Ich bin kein Arzt«, beschwerte sich Yolanda.
    »Kein Arzt kann ihr helfen«, sagte Mrs. Freeland und spähte zu Mamas Schlafzimmertür.
    Denver und Reggie lungerten unruhig im Wohnzimmer herum.
    »Ihr zwei Lümmel geht nach eurem Bruder schauen?«
    »Wir müssen nicht nach ihm schauen«, sagte Denver. »Wir wissen, wo er ist. Wir haben einen Plan, ihn zurückzuholen.«
    »Und weshalb tut ihr dann nichts?« fragte Mrs. Freeland.
    »Wenn die Zeit gekommen ist«, sagte Reggie entschieden.
    »Eure Mama sehnt sich nach Oliver«, erklärte Mrs. Freeland ihnen nicht zum ersten Mal. »Es wühlt ihr Inneres auf, daran zu denken, daß er bei der Hexe ist und was sie ihm antun könnte.«
    Reggie versuchte erfolglos, ein Grinsen zu verbergen.
    »Was ist so lustig?« fragte Mrs. Freeland streng.
    »Nichts. Vielleicht braucht unser kleiner Bruder etwas von dem, was sie bieten kann.«
    Mrs. Freeland starrte sie an. »Yolanda«, sagte sie und verdrehte ihre Augen angewidert zur Decke. »Die Babys. Sind sie noch trocken?«
    »Nein, Ma’am«, sagte Yolanda. Sie wich vor Mrs. Freelands scharfem Blick zurück. »Ich werde sie wickeln.«
    »Danach bringe sie zu deiner Mama hinein.«
    »Ja, Ma’am.«
     
    Das Frühstück fand statt, als wäre nichts geschehen. Miss Parkhurst saß ihm gegenüber, aß und lächelte. Oliver versuchte, höflicher zu sein und den rechten Zeitpunkt zu finden, um einen Gefallen zu bitten. Als das Frühstück vorüber war, schien der rechte Augenblick gekommen.
    »Ich möchte nachschauen, wie es Mama geht«, sagte er.
    Miss Parkhurst dachte einen Moment lang nach. »Heute abend wird ein Fernseher in Ihrem Zimmer stehen«, sagte sie, faltete ihre Serviette und legte sie neben ihren Teller. »Sie können ihn dazu benutzen, nachzuschauen, wie es allen geht.«
    Das war annehmbar. Bis dahin jedoch würde er den ganzen Tag mit Miss Parkhurst verbringen. Es war an der Zeit, entschied er, höflich zu sein. Dann konnte er seine Freiheit tatsächlich auf die Probe stellen.
    »Sie sagen, ich kann gehen«, sagte Oliver und versuchte, freundlich zu klingen.
    Miss Parkhurst nickte. »Jederzeit. Ich halte Sie nicht zurück.«
    »Wenn ich gehe, kann ich zurückkommen?«
    Sie lächelte ihr schwaches Lächeln. Da war wieder das junge Mädchen in diesem Lächeln und sie schien sehr verwundbar. »Das Kästchen bringt Sie zu jedem Ort in der Stadt.«
    »Niemand kommt mir in die Quere?«
    »Niemand belästigt jemanden unter meinem Schutz«, sagte Miss Parkhurst.
    Oliver faltete die Hände unterm Kinn. »Sie sind sehr nett zu mir«, sagte er. »Selbst wenn ich Ihnen Ärger bereite, verletzen Sie mich nicht. Warum?«
    »Sie sind meine letzte Chance«, sagte Miss Parkhurst und richtete ihre dunklen Augen auf ihn. »Ich lebe schon lange Zeit und niemand wie Sie ist mir bisher über den Weg gelaufen. Ich glaube nicht, daß noch jemand gekommen wäre. Wenigstens kann ich nicht so lange warten. Ich lebe schon so lange auf diese Weise, ich kenne keine andere, aber ich will das alles nicht mehr länger.«
    »Mögen Sie es, eine Hure zu sein?«
    Miss Parkhursts Züge verhärteten sich. »Es hat seine guten Seiten«, sagte sie steif.
    Oliver nahm seinen Mut zusammen und sagte, was er dachte,

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