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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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blickte sie allerdings nicht an, während er es tat. »Sie genießen es, bei jedem Mann zu liegen, der das Geld dafür hat?«
    »Es ist Arbeit. Ich bin gut dabei.«
    »Auch häßliche Männer?«
    »Häßliche Männer brauchen auch ihre Freude.«
    »Schlechte Männer? Lassen Sie sich von ihnen anfassen, auch wenn sie andere Menschen verletzt oder getötet haben?«
    »Welche Arbeiten haben Sie bisher geleistet?«
    »Ich war Verkäufer in einem Lebensmittelladen. Habe Musik gelehrt.«
    »Haben Sie im Laden schlechte Menschen bedient?«
    »Wenn ich es tat«, sagte Oliver schnell, »wußte ich nichts davon.«
    »Ich auch nicht«, sagte Miss Parkhurst. Dann, ruhiger: »Zum größten Teil wenigstens.«
    »All diese Mädchen, die Sie zu Huren gemacht haben…«
    »Sie müssen einige Dinge lernen«, unterbrach sie. »Es ist nicht die Arbeit, die so furchtbar ist. Es ist, was man sein muß, um sie zu tun. Die Art, wie die Leute von einem denken, wenn man sie tut. Sollte eine Hure, in einer guten Welt, wie ein Arzt sein oder ein Heiliger, würde sie nicht mehr als diese darauf achten, ihre Hände schmutzig zu machen. Sie schenkt Freude und Lächeln. Aber in der Stadt lassen es die Leute nicht zu, so zu handeln. Eine Hure genießt Respekt, aber nicht vor sich selbst. Sie verliert ihn, sobald jemand sie ansieht. Sie kann nach außen hin eine Million Dollar wert sein, aber innerlich weiß sie, was sie zu einer Hure macht. Das ist der Fluch. Jeder sucht seinen Vorteil, als wäre man Dreck. Sehr bald schon denkt man selbst, man wäre Dreck, und wer kümmert sich schon darum, was mit Dreck passiert? Bald läßt man den Dingen ihren Lauf, versucht nicht verletzt oder getötet zu werden, aber wen kümmert’s?«
    »Sie sind reich«, sagte Oliver.
    »Ich kann nicht alles kaufen«, kommentierte Miss Parkhurst trocken.
    »Sie besitzen Magie.«
    »Ich besitze Magie, weil ich hier bin und hier bleibe. Ich muß eine Hure bleiben.«
    »Warum können Sie nicht gehen?«
    Sie seufzte, ihre Finger spielten nervös mit dem Saum der Tischdecke.
    »Was hält Sie davon ab, einfach zu gehen?«
    »Wenn Sie sich bereiterklären, diesen Ort zu betreiben«, sagte sie, und er dachte zunächst, sie wolle seiner Frage ausweichen, »müssen Sie alles darüber wissen. Alles über mich. Wir sind beinahe gleich, ich und dieser Ort. Eine Hure ist nicht mehr als das, was sie in der Börse hat, jeder Zuhälter weiß das. Wissen Sie, wie oft ich verheiratet war?«
    Oliver schüttelte seinen Kopf.
    »Siebzehn Mal. Manchmal haben sie mich verlassen, ein oder zweimal blieben sie. War nie sehr gut. Aber vielleicht habe ich es nicht besser verdient. Jene, die mich verließen – sie kamen zurück, als sie alt waren und wollten, daß ich sie vor Darkside rette. Ich konnte es nicht. Aber ich behielt sie ohnehin hier. Kommen Sie mit.«
    Sie stand auf, und Oliver folgte ihr durch die Halle, die Treppe hinab, bis unterhalb der Garagenebene, tief im vollgestopften Kellergeschoß des Hauses. Die Luft war zeitlos, besaß die Kühle des Erdinneren und roch nach altem Stadtregen. Einige wenige klare Lichtkugeln warfen schwachgelbe, halbmondförmige Lichtflecken in die trübe Dunkelheit. Sie gingen auf Brettern über eine schlammige Pfütze. Miss Parkhurst hob ihren Rock an, um ihn nicht mit Schlamm zu beschmutzen. Oliver sah ihre schlanken Fesseln und schluckte, um die Verengung in seiner Kehle zu beseitigen.
    Vor ihnen, in einer Reihe von moosbedeckten Betontrögen ausgelegt, waren fünfzehn schwarze Eisenzylinder, jeder zwei Meter lang und auf der Oberseite abgeflacht. Sie sahen aus wie große Luftminen. Der erste war in eine dunkle Ecke hineingezwängt. Miss Parkhurst stand an seinem Fußende und ließ ihre Hand seine rostige Oberfläche entlangstreifen.
    »Zwei kamen nicht zurück. Vielleicht waren sie die besten von allen«, sagte sie. »Ich konnte kein Urteil fällen. Ich konnte es nicht wissen. Sie beurteilen Männer nach dem, was in ihnen ist und wenn sie innerlich leer sind, gehen sie dort verloren.«
    Oliver trat näher an den letzten Zylinder heran und sah eine klare Glasscheibe, die am Kopfende montiert war. Zaudernd, aber fasziniert wischte er das Glas mit zwei Fingern ab und spähte hinein. Der Sarg war mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt. Ein olivgrünes Gesicht blickte ihm entgegen; trübe blinde Augen und schlaffe Lippen. Die Flüssigkeit und der Tod hatten die runzligen Gesichtszüge geglättet, aber Oliver wußte, daß dieser Bursche alt war, sehr alt.
    »Sie

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