Tango Vitale
Lebenspanorama malen lassen: Die Teilnehmerinnen zeichneten mit farbigen Stiften Stationen ihres Lebens von der Geburt bis zur Gegenwart. Insgesamt |99| habe ich über 100 Lebenspanoramen ausgewertet. Sie stammten von Physikerinnen, Lektorinnen, Hausfrauen, Designerinnen, Ärztinnen, Müttern, Filmemacherinnen – einem breiten Spektrum von Frauen zwischen etwa 25 und 55 Jahren aus der ganzen Bundesrepublik, die sich durchaus als erfolgreich und mehr oder minder glücklich bezeichneten. Und doch: In jedem Lebenspanorama fanden sich schmerzhafte Ereignisse, Schicksalsschläge oder persönliche Katastrophen. Eine Seminarteilnehmerin schraffierte mit schwarzem Stift dunkle Wolken. Ihre Mutter war gestorben, als sie 16 Jahre alt war. Eine andere malte violette Tränen als Symbol dafür, dass ihr Mann sie von heute auf morgen verlassen hatte. Eine weitere zeichnete ein schwarzes Kreuz, sie hatte im dritten Monat eine Fehlgeburt erlitten. Nicht von ungefähr sagt ein weises Sprichwort: »Unter jedem Dach ein Ach.«
Wenn Sie auf Ihr Leben zurückschauen, kommen auch Ihnen sicherlich sofort Zeiten in den Sinn, in denen Sie gelitten haben. Etwa als Sie Ihren ersten Liebeskummer hatten. Als Sie im Beruf gemobbt wurden und am Ende kündigten, um nicht seelisch zu zerbrechen. Als Sie beim Skifahren stürzten und anschließend mehrfach operiert wurden. Vielleicht sind auch besonders schwere Schicksalsschläge dabei: Durch eine Netzhautablösung haben Sie einen großen Teil Ihres Augenlichtes verloren. Man hat bei Ihnen Krebs diagnostiziert. Der Mensch, den Sie liebten, ist bei einem Unfall ums Leben gekommen. Möglicherweise ist Ihre persönliche Katastrophe auch noch längst nicht Vergangenheit, sondern Sie stecken gerade mittendrin.
Bitte keine Vergleiche
Wenn es um Leid geht – sei es unser eigenes oder das der anderen –, sind wir versucht, es zu beurteilen: Dieses ist schrecklicher als jenes. Gewiss kann jeder von uns eine persönliche Rangordnung herstellen, |100| was er als besonders hart empfindet. Was ist schlimmer: Den Arbeitsplatz zu verlieren oder ein komplizierter Armbruch? Einen gefährlichen Tumor zu haben oder dauerhaft unter einer körperlichen Behinderung zu leiden? Die große Liebe durch den Tod zu verlieren oder einen alkoholkranken Partner zu haben? Ein unwiderruflicher Zustand wiegt in unseren Augen meist schwerer als einer, der noch Hoffnung auf Besserung oder gar Rückkehr zum ehemaligen Zustand zulässt. Doch mögen auch manche Schicksalsschläge gewichtiger erscheinen als andere, Leid zu vergleichen ist sinnlos – es sei denn, wir finden es wirklich tröstlich, dass es jemanden noch übler getroffen hat als uns. Vielmehr gilt, was Ben Sherwood so formuliert: »Manche Herausforderungen mögen einem zwar entsetzlicher vorkommen als andere, aber wenn man sich auf seinem eigenen Leidensweg befindet, spielt es keine Rolle, welchen Wert er auf einer imaginären ›Richterskala des Überlebens‹ einnimmt.« 25
In der Psychotherapie habe ich oft erlebt, dass Klienten ihre seelischen Schmerzen vor sich selbst herunterspielten. Ein 40-jähriger Rechtsanwalt erzählte, wie sich in seiner Kindheit sein Vater mit kalter Ironie über seine Gefühle lustig machte und seine Mutter ständig in Krankheiten flüchtete. Entschuldigend sagte er: »Aber das ist ja nicht so schlimm, wenn man bedenkt, dass andere Kinder geschlagen oder vernachlässigt werden.« Ich sah das anders. Es hat nichts mit übertriebenem Selbstmitleid zu tun, wenn wir unser Leiden ernst nehmen. Im Gegenteil ist das eine Voraussetzung, um konstruktiv damit umzugehen. Jedes Leid ist einzigartig.
Am Schicksalsschlag zerbrechen
Dass wir Krisen und Schicksalsschläge überwinden, ist nicht selbstverständlich. Manche Menschen zerbrechen daran. Ihr Schmerz ist für sie so unerträglich, dass sie den Tod vorziehen und Suizid begehen. |101| Oder sie bleiben zwar noch physisch lebendig, sind aber innerlich abgestorben. Dabei handelt es sich keineswegs nur um schwache Persönlichkeiten.
Ein Beispiel dafür ist Petra Schürmann, deren vergebliche Versuche, einen schweren Schicksalsschlag zu überwinden, man in den Medien verfolgen konnte.
Petra Schürmann studiert Philosophie und Kunstgeschichte. In London wird sie als erste Deutsche zur Miss World gewählt. In den 60er Jahren beginnt sie beim Bayerischen Fernsehen eine Karriere als Ansagerin, moderiert Sendungen für ARD und ZDF. Auch als Schauspielerin und Buchautorin ist sie erfolgreich –
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