Tango Vitale
eine attraktive, kluge, selbstbewusste Frau. 1967 wird ihre Tochter Alexandra geboren. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist sehr eng. Alexandra tritt als Moderatorin in die Fußstapfen ihrer Mutter, sie steht kurz vor ihrer Hochzeit. Und dann passiert das Unglück: 2001 wird der Wagen mit Alexandra am Steuer auf der Autobahn von einem Geisterfahrer gerammt. Sie ist sofort tot.
Von diesem Schicksalsschlag erholt sich Petra Schürmann nie mehr. Sie zieht sich völlig aus der Öffentlichkeit zurück, erkrankt an einer psychisch bedingten Sprachstörung. Irgendwann kann sie gar nicht mehr sprechen und kommuniziert nur noch schriftlich. Sie versucht, den Tod ihrer Tochter in dem Buch
Und eine Nacht vergeht wie ein Jahr
zu verarbeiten, aber es gelingt ihr nicht. Zuletzt sitzt sie im Rollstuhl und muss von Pflegern betreut werden. Schließlich stirbt sie nach längerem Leiden.
Sicher ist es vermessen, das Verhalten eines Menschen im Leid beurteilen zu wollen. Es ist leicht für uns, von Scheitern zu sprechen, solange wir uns nicht in der gleichen verzweifelten Lage befinden. Können Sie voraussagen, wie Sie auf einen Schicksalsschlag wie den Tod eines geliebten Menschen, eine schwere Krankheit, chronische Schmerzen |102| oder eine irreparable körperliche Behinderung reagieren würden? Ich wage für mich keine Prognose. Es gibt allerdings Hinweise darauf, wann wir besonders in Gefahr sind aufzugeben: Je stärker wir uns innerlich an einen bestimmten Menschen, eine Lebensform oder -aufgabe gebunden haben, desto weniger wert erscheint uns unser Dasein, wenn dieser Mittelpunkt zerstört wird.
Vor einiger Zeit erhielt ich die Todesanzeige eines Künstlers. Ich kannte ihn seit meiner Kindheit, unsere Eltern waren befreundet Schon als 15-jährigen sah man ihn immer nur mit Zeichenblock und Stift. Später verloren wir uns aus den Augen, aber ich hörte und las gelegentlich von seinen großen Erfolgen. Dabei erinnerte ich mich jedes Mal an den Jungen, der so leidenschaftlich malte und zeichnete. Offenbar hatte er schon früh seine Bestimmung gefunden. Als ich auf die Anzeige hin betroffen bei seiner Familie anrief, erfuhr ich die traurigen Umstände: Er war an einem Augenleiden erkrankt, das mit Sicherheit zum Erblinden führen würde. Als Künstler nicht mehr sehen zu können war für ihn undenkbar. Er zog den Tod vor.
Wenn der Lebenswille erlischt, erreichen meist auch Hilfsangebote die Betroffenen nicht mehr. Nahestehenden bleibt nur noch, sie mitfühlend zu begleiten. Oft können sie einen Suizid nicht verhindern. Das ist besonders tragisch, weil es möglich wäre, mit Schicksalsschlägen fertig zu werden, wenn man weiß, welche Schritte dazu notwendig sind.
Den Schicksalsschlag überwinden
Selbst bei schweren Schicksalsschlägen ist Aufgeben keine unausweichliche Reaktion. In jedem Fall bleibt den Betroffenen die Wahl, wie sie damit umgehen wollen. Sich mutig den schmerzhaften, oft irreparablen Veränderungen zu stellen gelingt allerdings selten unmittelbar nach der Katastrophe. Meist handelt es sich um einen längeren |103| Prozess. Sein Ablauf entspricht den Phasen, die allgemein für die Verarbeitung von Trauer gelten.
1. Die Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens. Sie ist von Schock und Verleugnung gekennzeichnet. Wir wollen nicht glauben, dass ausgerechnet uns das passiert ist, und glauben, dass alles wieder gut wird.
2. Die Phase der aufbrechenden Gefühle. In ihr wechseln sich tiefe Verzweiflung, Angst, Hilflosigkeit und Wut ab. Wir hadern mit unserem Schicksal. Warum hat es gerade uns getroffen? Auch Selbstvorwürfe quälen uns: Hätten wir das Unglück vielleicht verhindern können?
3. Die Phase der Anpassung. Allmählich finden wir uns mit den Gegebenheiten ab. Wir beginnen auszuloten, was wir in dieser Situation leisten oder verändern können.
4. Die Phase der Neuorientierung. Wir haben ein neues körperliches und seelisches Gleichgewicht erreicht. Trotz aller Belastung sehen wir die Zukunft positiv.
Diese Phasen laufen nicht unbedingt wie im psychologischen Lehrbuch ab. Sie können sich teilweise überschneiden, vermischen oder sogar in anderer Reihenfolge erscheinen. Aber es ist unbedingt nötig, jede einzelne zu durchleben, wenn man sein Leben wieder in den Griff bekommen will.
Besonders entscheidend ist die dritte Phase: Die Betroffenen sind bereit, den veränderten Status quo zu akzeptieren. Erst mit dieser Einstellung können sie es schaffen, Fähigkeiten zu
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