Tango Vitale
Verhalten bringen.
Kerstin arbeitet in einem großen Unternehmen als Assistentin der Geschäftsleitung. Ihr Chef, der offenbar mehr fachliche als soziale Kompetenz besitzt, pflegte seine qualifizierte Mitarbeiterin im Befehlston herumzukommandieren. Kerstin ärgerte sich maßlos darüber, war sich aber sicher, dass es wenig bringen würde, ihn darauf anzusprechen. Also überlegte sie sich eine ungewöhnliche Strategie. Ab sofort begegnete sie ihrem Vorgesetzten mit ausgesuchter Freundlichkeit. Egal, wie barsch er sie ansprach, sie blieb die Liebenswürdigkeit in Person. Schickte er sie wie einen Laufburschen los, konterte sie lächelnd: »Selbstverständlich werde ich Ihnen sofort Ihre Post holen. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« Regte er sich auf, dass eine Kopie fehlte, die er selbst verlegt hatte, verteidigte sie sich nicht wie bisher, sondern flötete: »Ich mache Ihnen sehr gerne eine neue Kopie. Oder vielleicht gleich zwei?« Dabei klang sie nie unterwürfig, sondern hielt die |184| Stimmlage einer Hoteldirektorin, die ihrem Gast den Aufenthalt so angenehm wie möglich machen möchte. Ihr Chef reagierte irritiert, immerhin bewegte sich Kerstins Charme an der Grenze zur Ironie, aber er konnte ihr nicht nachweisen, dass ihr Verhalten nicht die pure Freundlichkeit war. Schließlich fiel ihm wohl selbst auf, in welchem Kontrast seine unhöfliche Art zu Kerstins ausgesuchter Freundlichkeit stand. Jedenfalls änderte er nach und nach seinen Ton. »Meine Freundlichkeit hat ihn umgedreht«, freut sich Kerstin. Selbst wenn ihre Taktik nicht gewirkt hätte, so hätte sie auf diese Weise zumindest die Kontrolle über ihre Emotionen behalten.
Freundlichkeit in der Liebe
Sicherlich erwarten Sie vom Schicksal nicht nur beruflichen Erfolg. Eine lange, glückliche Beziehung ist immer noch das Ideal, auch wenn die Realität sie meist auf eine Lebensabschnittspartnerschaft verkürzt. Auch auf diesem Gebiet kann die Wissenschaft Beweise vorlegen, dass Freundlichkeit eine große Wirkung zeigt. Ich rede keineswegs von dem banalen Ratschlag »Seien Sie nett zu Ihrem Partner, dann klappt’s auch mit der Liebe«. Wissenschaftliche Ergebnisse belegen, dass oberflächlich liebevolle Gesten und Worte nicht ausreichen. Wahre Freundlichkeit im Sinne von Wertschätzung zeigt sich in kleinen, scheinbar kaum wahrnehmbaren Signalen.
Der amerikanische Psychologieprofessor John Gottman ist durch seine Untersuchungen zur Haltbarkeit von Beziehungen bekannt geworden. Er hat eine Methode entwickelt, mit der sich zu einem hohen Prozentsatz voraussagen lässt, ob ein Paar verheiratet bleibt oder sich scheiden lässt. Die Voraussage beruht auf direkter Beobachtung. Dazu sitzen die Versuchspersonen, jeweils ein frisch verheiratetes Paar, in Gottmans »love lab« auf einer kleinen Bühne im Abstand von zwei Metern voreinander. An ihren Händen und Ohrläppchen sind Elektroden |185| und Sensoren befestigt, um Herzfrequenz, Hauttemperatur und Schweißausbruch zu messen. Zwei Kameras nehmen auf, wie sie sich bewegen und was sie sagen. Die Anweisung für die beiden lautet einfach: »Unterhalten Sie sich über ein Thema, das sich in Ihrer Beziehung zu einem Streitpunkt entwickelt hat.« Geld, Ordnung, Kindererziehung, Freundeskreis, Kleidung, Ausgehen, Haustiere – es gibt schließlich viele große und kleine Bereiche, in denen Konflikte typisch sind. Für einen unbeteiligten Beobachter unterscheiden sich die Gespräche im Labor deshalb kaum von solchen, wie sie Paare im Alltag immer wieder führen. Professor Gottman und seine Mitarbeiter jedoch registrieren jede noch so kleine Reaktion ihrer Probanden und werten sie genau aus. Dabei vergleichen sie die Anzahl der positiven und der negativen Signale, die das Paar einander sendet. Äußern sich die Partner verächtlich, unnachgiebig, kritisch, rechthaberisch oder belehrend, wird das als Minus vermerkt. Sind sie liebevoll, zugewandt, verständnisvoll und kompromissbereit, liegen sie im positiven Bereich. Wohlgemerkt geht es dabei nicht unbedingt um deutlich erkennbares Verhalten, etwa wenn sie ihn beschimpft oder er sie anbrüllt, sondern um subtile Anzeichen wie heruntergezogene Mundwinkel, ein verlegenes Lachen, ein veränderter Tonfall, eine spezielle Wortwahl.
Inzwischen hat Gottman auf diese Weise die Kommunikation von mehr als 3 000 Paaren untersucht und seine Voraussage überwiegend bestätigt gefunden. Die Analysen führten ihn zu einer griffigen Formel: Bei einem Paar, das lange
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