Tango Vitale
gegenüber Mitmenschen, die von Wertschätzung geprägt ist.
Linda Kaplan Thaler und Robin Koval sind Managerinnen einer führenden US-Werbeagentur mit Milliardenumsatz. Ihnen kann sicher niemand vorwerfen, sie würden weichherzig ihre eigenen Interessen zurückstellen. Trotzdem, oder gerade deshalb, brechen sie in ihrem Buch
The Power of Nice
eine Lanze für die Freundlichkeit. Sie beschreiben sie so: »Sie sollten jeden, den Sie treffen, so behandeln, als ob er der wichtigste Mensch auf Erden wäre – weil er das ist. Wenn nicht für Sie, dann für jemanden anderen; und wenn nicht heute, dann vielleicht morgen.« 48 Das klingt für unsere deutschen Ohren ein bisschen amerikanisch überschwänglich, doch was dahintersteckt, können wir gewiss bejahen: Jeder Mensch ist wertvoll und sollte auch so behandelt werden.
Ob Freundlichkeit tatsächlich dieser Haltung entspringt, lässt sich von außen schwer beurteilen. Doch für uns selbst können wir das schnell klären. Dazu müssen wir uns nur diese Frage beantworten: Was ist mein Motiv? Viele Menschen sind nur deshalb immer nett und freundlich, weil sie Angst vor Ablehnung haben. Sie wollen geliebt werden und glauben, mit Selbstaufgabe könnten sie das erreichen. Also lächeln sie tapfer, auch wenn man sie verletzt. Sie stimmen höflich zu, obwohl sie eigentlich anderer Meinung sind. Sie machen Geschenke, um sich Liebe zu erkaufen. Sie stellen die eigenen Bedürfnisse hinter denen der anderen zurück. Heraus kommt dabei etwas, das sich mit dem Ausspruch charakterisieren lässt: »Everybody’s Darling is Everybody’s Depp.« Klingt hart, stimmt aber.
Wirklich freundliche Menschen dagegen berücksichtigen gleichberechtigt den zweiten Teil des Gebotes der Nächstenliebe. »Liebe deinen Nächsten – wie dich selbst.« Sie vertreten klar und deutlich ihre eigenen Interessen und sind auch in der Lage, Grenzen zu setzen. Nur tun sie das niemals mit ausgefahrenen Ellenbogen und kränkendem Verhalten. Weil es sich dabei um eine grundsätzliche Haltung handelt, |180| bleiben sie selbst dann dabei, wenn sie angegriffen werden, Kritik üben oder entschieden Nein sagen. In dem Fall macht der Ton die Musik. Ganz im Sinne dieser kleinen Anekdote: Ein Mitglied des englischen Oberhauses wurde im Club von einem politischen Kontrahenten übel beschimpft. Statt verbal auf gleiche Weise zurückzuschlagen, blieb der Lord äußerst höflich. Als er anschließend gefragt wurde, warum er denn auf die Beleidigung nicht ebenso scharf reagiert habe, zog er eine Augenbraue hoch und sagte: »Ich lasse mir doch mein Verhalten nicht vom schlechten Benehmen eines anderen diktieren.«
Bitte recht freundlich!
Es geht nicht darum, zum dauerlächelnden Weichei zu mutieren, sondern echte Freundlichkeit zu entwickeln, die auf einem Prinzip von Wertschätzung beruht. Von dieser Art der Freundlichkeit soll im Folgenden die Rede sein, wenn wir untersuchen, wie Sie damit Ihr Schicksal in den unterschiedlichen Bereichen beeinflussen können.
Freundlichkeit im Beruf
Auch wenn wir nicht das ganz große Rad drehen oder Aussicht auf den Nobelpreis haben, können wir in unserer Tätigkeit Freundlichkeit nutzen, um damit unser berufliches Schicksal erfolgreich zu beeinflussen. Eine Kollegin, die eine Zeit lang in Los Angeles gearbeitet hat, erzählte, sie wäre dort immer wieder auf die Philosophie gestoßen: »Be a person people like to work with« – »Sei jemand, mit dem andere gerne arbeiten«.
Wie wichtig dieser Rat ist, wurde mir vor einiger Zeit besonders deutlich. Für eine Samstagabend-Liveshow im Ersten Programm hatte ich den »Großen Partnerschaftstest« entwickelt und sollte ihn zusammen |181| mit Jörg Pilawa moderieren. Die Vorbereitung für die Sendung dauerte drei Tage. Die Liste des Mitarbeiterstabes umfasste sechs Seiten, vom Regisseur über die Spiele-Techniker, Lichtdesigner, Requisite, Masken- und Kostümbildnerinnen bis hin zur Kabelhilfe. Kaum einer dieser Mitarbeiter war fest angestellt, fast alle wurden speziell für dieses Projekt gebucht. Tatsächlich habe ich selten so ein freundliches Team erlebt. Wenn jemand etwas gut machte, wurde großzügig Lob verteilt. Gab es Schwierigkeiten, überlegte man gemeinsam, wie man das Problem am besten lösen könnte. Kurz vor der Übertragung wünschten mir alle, die ich auf dem Weg ins Aufnahmestudio traf, viel Glück. Was ich gerne annahm, denn die Vorstellung, gleich vor erwarteten sechs Millionen Fernsehzuschauern auf dem
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